„Das Kommentarfeld unter Artikeln: ein Trollhaus.“, schreibt Leo Lagercrantz in seinem Gastbeitrag „Vom Elend der Nutzerkommentare“ auf sueddeutsche.de. „Viele überfluten die Kommentarfelder mit Propaganda, Hassreden und Verleumdungen – oder genauer: mit Texten, die von den meisten Menschen in unserer Gesellschaft für Hassreden gehalten werden.“ Und tatsächlich bei dem Blick in die Kommentarspalten auch noch so honoriger Publikationen wird einem schlecht von all der Tastaturkotze, die dort verströmt wird. Doch wie ist es wirklich mit den Beleidigungen in Onlinemedien? Was funktionieren die Mechanismen und überlagern eventuell nur wenige Beleidigungen eine im Prinzip sachliche Diskussion?
Im Rahmen des Seminars „Spezielle Wirkungsforschung“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bei Pascal Jürgens haben wir in einem kleinen Projekt eine Inhaltsanalyse von Kommentaren auf Spiegel Online durchgeführt. Gegenstand der Untersuchung waren 10.000 Nutzerkommentare, die 2 Wochen nach dem Unglück von Fukushima zu Artikeln dieses Themas abgegeben wurden. Ich habe mir die Beleidigungen etwas genauer angeschaut. Hier einige Ergebnisse:
Nahezu ein Viertel der Diskussionsteilnehmer verwendet Fakten
Obwohl gerade Atomkraft und Fukushima ein sehr emotionales Thema sind enthielten 23 % der Diskussionsbeiträge Fakten oder zumindest Tatsachenbehauptungen. Dieser Anteil erscheint mir recht hoch, allerdings liegt mir kein Vergleich zu anderen Themen vor. Es könnte sein, dass es gerade nach Fukushima viele Erklärversuche der Reaktorbauweise gab und und die ständig neue Strahlenwerte ausgetauscht wurden und das zu einer höheren Faktendichte geführt hat, als es bei einem anderen Thema der Fall wäre.
Nichtsdestotrotz überraschte mich diese hohe Zahl, hatte ich doch beim Codieren der Beiträge das Gefühl, man schlage sich fast ausschließlich verbal die Köpfe ein.
14% der Kommentare sind beleidigend
Während durch die Zahlen oben der Eindruck einer sehr sachlichen Debatte entsteht, wird ein andere Teil der Diskussion sehr emotional geführt: Rund ein fünftel der Diskussionsbeiträge weisen entweder emotionale Äußerungen oder konkrete Beleidigungen auf. Eindeutige Ironie kommt in 12% der Beiträge zum tragen.
Mechanismen der Beleidigung 2.0
Wir kennen nun also die Tonalität der Debatte, doch wie sieht es genau aus? Wie wird auf bestimmte Äußerungen reagiert? Was provoziert Beleidigungen? Dazu habe ich mir angeschaut, wie auf bestimmte Textmerkmale regiert wird. Ein paar Zahlen:
- Auf Emotionale Beiträge wird in 19% der Fälle beleidigend reagiert
- Auf ironische Beiträge wir ebenfalls in 19% der Fälle mit einer Beleidigung geantwortet.
- Auf Beleidigungen folgt in einem Drittel der Fälle eine erneute Beleidigung.
All diese Punkte zeigen, dass eine emotionale Debatte schnell in Beleidigungen abdriftet. Wurde erst einmal beleidigt folgt auch in 33% der Fälle eine weitere Beleidigung als Antwort. In allen drei Fällen konnte ein statistischer Zusammenhang nachgewiesen werden.
Auf Fakten reagieren nur 11% beleidigend
Kann eine Debatte versachlicht werden? Wie wird auf Fakten reagiert? Hier weißt die Statistik aus, dass nur in 11% der Fälle auf eine Tatsachenbehauptung mit einer Beleidigung geantwortet wird. Das liegt unter den „normalen“ 14% an beleidigenden Inhalten.
Thematisierung des Diskussionsklimas hilft nichts
Wenn eine Debatte in das Tal der Fäkalorgie abdriftet findet sich früher oder später immer einer, der entweder Hitler einwirft oder das Diskussionsklima in Frage stellt. Verbessert der Beginn einer Metadiskussion über die Diskussion die Diskussion? Eher Nein.
Zunächst einmal enthält über ein Fünftel der Beiträge, die das Diskussionklima zum Inhalt haben, selbst Beleidigungen. Das heisst, viele sprechen das mangelnde Niveau nicht gerade auf hohem Niveau an.
In der Folge antwortet wiederum ein Fünftel derer, die sich auf solche Metadiskussionsbeiträge einlassen, mit einer Beleidigung. Was dann passiert haben wir ja oben bereits gesehen.
Was folgt daraus?
Daraus folgt sicherlich, dass sich eine intensive Moderation der Nutzerkommentare lohnt. Filtert man beleidigende Beiträge frühzeitig raus, mindert man die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Beleidigungskarussell in Gang setzt. Faktenbeiträge hingegen tragen zu einer Versachlichung der Debatte bei.
Wer sich nun noch näher mit dem Thema beschäftigen will, der kann hier gerne das komplette Paper herunterladen. Darin gibt es noch mehr tolle Zahlen: Ich untersuche berispielsweise auch noch die Reaktionen auf häufige Reaktionsmuster (Frames) und wer so am liebsten beleidigt wird.
Ich bin bei all dem kein Statistikgott, also wer Rechen- oder Logikfehler findet, darf mich gerne darauf hinweisen. Wer das ganze hilfreich fand oder sich gefreut hat über die Zahlen, würde mich mit einem Klick auf den Flattr-Button erfreuen.