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Ihr Tweet ist in diesem Land leider nicht verfügbar

Twitter hat gerade einen Blogartikel veröffentlich, der da heißt: „Tweets still must flow“. Hinter diesem euphemistischen Titel verbirgt sich nichts anderes als eine länderspezifische Zensurinfrastruktur.

Ab dem heutigen Tage will Twitter damit anfangen bestimmte Tweets in bestimmten Ländern zu blockieren.

As we continue to grow internationally, we will enter countries that have different ideas about the contours of freedom of expression. Some differ so much from our ideas that we will not be able to exist there.
[…]

Starting today, we give ourselves the ability to reactively withhold content from users in a specific country

Dabei will man sich wohl an die jeweils lokalen Gesetze halten, so ist in dem Beitrag explizit die Rede von Deutschland und Frankreich, die Nationalsozialistische Inhalte verbieten. Gemeint sein dürften aber eher Länder wie China.

Mit der Selbstunterwerfung der Zensur sichert sich Twitter den Zugang zum chinesischen Markt, momentan ist dort vor allem der Microblogging-Service von Sina Weibo verbreitet. Andere Dienste, wie Baidu und Fanfou wurden dort bereits abgeschaltet, weil so kritische Themen wie Menschenrechte oder Liu Xiaobo angesprochen wurden.

Welche Prinzipien genau gelten ist unklar, in ihrem ersten Hilfe Artikel sprechen sie nur davon, dass:

Many countries, including the United States, have laws that may apply to Tweets and/or Twitter account content.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass sich Twitter von einer freien Meinungsäußerung in restriktiven Ländern abkehrt. Ein Assad wird sich in Syrien nicht mehr die Mühe machen müssen alle Nachrichten seines Volks zu überwachen, er erlässt ein Gesetz, dass kritische Inhalte verboten sind und dann übernimmt das Twitter für ihn. Twitter wird nicht dazu beitragen, dass Menschen in China davon erfahren was in Tiananmen geschehen ist.

Eine Twitter Revolution wird es nicht mehr geben.

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Musik

M.I.A.s „Born Free“ macht Stress

Eine Einheit voll ausgerüsteter Paramilitärs stürmen ein Haus. Treten die Tür ein, zerren ein Paar gewaltsam aus dem Bett. Als einer der Bewohner zu Boden geht, schlägt der Beamte weiter mit dem Knüppel auf ihn ein. Auf seiner Brust, gut sichtbar die amerikanische Flagge.

So beginnt die Szenerie von M.I.A.s neuem Musikvideo „Born Free“. Youtube reagierte prompt und sperrte das Video, damit rückte es noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit. „Zensur“ lautet der Reflexschrei. Dabei ist klar: Dahinter steckt kalkulierte Provokation.

Hinter dem Video steckt nämlich niemand anderes als Romain Gavras und der kennt sich aus mit Wirbel um Musikvideos. 2008 produzierte er für die Band Justice das Video „Stress“ und genau der folgte. Auch in diesem Video geht es brutal zu. Rücksichtslose Jugendliche ziehen durch Paris, wahllos gewalttätig greifen sie Passanten an und randalieren in Bars mit Totschlägern. Der Vorwurf des Rassismus wurde laut und die Verherrlichung der Unruhen in den Pariser Vorstädten, dabei hatte Gavras vermutlich eher den Anspruch genau diese Misstände in der französische Banlieue  anzuprangern.

Youtubes fragliche Politik

Fraglich bleibt wie Youtube mit den Zensurvorwürfen vorgehen soll. Schließlich hat „Born Free“ eine hochpolitische Message, prangert Rassismus und das Vorgehen amerikanischer Militärs an. In dem Video werden vornehmlich Rothaarige, im englischen „Gingers“, gejagt und es ist klar, dass man für sie jede andere Gruppe oder Minderheit – von Muslimen bis Schwarzen – einsetzen kann. Was macht dieses Video also anders, als zum Beispiel „Stress“, das ja noch auf Youtube zu sehen ist?  Um Pornografie, wie die SZ schreibt, handelt es sich nur wegen der Darstellung nackter Körper noch lange nicht. Gewaltverherrlichend? Eher gewaltanprangernd und eben mit politischer Botschaft. Vielleicht hätte auch eine Kennzeichnung des Videos, wie zunächst geschehen, als nicht jugendfrei ausgereicht, aus wenn diese, zugegeben, nicht sehr wirksam ist um Kinderaugen tatsächlich fern zu halten.

Vorwürfe gegen Youtube hatte es auch schon wegen der konsequenten Durchsetzung angeblicher Urheberrechtsverletzungen gegeben, die Youtube mit einem automatischen System erkennt. Hier wurde mit einer „Fair Use“-Funktion nachgebessert. Youtube muss sich fragen, ob es Ort für gesellschaftliche Debatten sein will oder ob man, ähnlich der Apple Politik, sich nicht als Marktplatz für politische Satire und Nacktheit sieht.

Neben M.I.A. dürfte sich auch Vimeo über den heraufbeschworenen Skandal freuen. Auf dem Videoportal, dass sonst stets im Schatten von Youtube steht ist das Video (s.o.) noch einsehbar und wird nun webweit verlinkt.

Was meint ihr? War die Sperre von Youtube gerechtfertigt, weil das Video einfach zu gewalttätig ist, oder ist es ein Eingriff in die freie Meinungsäußerung?

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Featured Politik

Wider die Zensur

Warum es um Zensur geht

Da reiben sich gerade so viele die Hände, daß man eigendlich ein beständiges Rauschen hören müsste. Die Idee, das Thema Kinderpornografie als Popanz vorzuschicken, um das nun geplante Internet-Zensursystem einzuführen war aber auch wirklich eine richtig gute. Hat das ja zuvor mit den Themen Terrorismus und Internet-Kriminalität nicht wirklich hingehauen, kann man hier spitzenmäßig mit dem Holzhammer wedeln und Kritiker einfachst diffamieren, indem man die eigentliche Kritik ignoriert und ihnen vorwirft, sie wollten die Verbreitung von Kinderpornografie schützen. Wie schnell schon der Vorwurf zum beruflichen und gesellschaftlichen Tod führen kann, zeigte man nur wenige Wochen zuvor ja schonmal anschaulich am Exempel Tauss (der übrigens natürlich nicht im Netz „erwischt“ wurde, sondern über Handykontakte und DVDs per Post).
Aber ich schweife schon wieder – wie es durch die Wahl dieses Themas ja auch gewünscht ist – ab.
Denn das Problem, das die Kritiker haben, ist ja natürlich nicht, daß man den Zugang zu Kinderpornografie sperren will, sondern das Sperrinstrumentarium, das man dazu baut. Schaut man sich das an, merkt man schnell: Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht. Ging es nie.
Es geht um die Installation eines generellen technischen Systems und die generelle Art und Weise, wie es betrieben wird: Es geht darum, daß eine waschechte, diesen Namen zu Recht tragende, Zensur ermöglicht wird. Auch wenn die zunächst gesperrten Websites tatsächlich nur Kinderpornografie beinhalten (was die Liste eigentlich extrem kurz halten müsste) wäre sowohl die Technik, die Verwaltung und sogar die Psychologie installiert, um sofort eine effektive Zensur betreiben zu können.

Technik
Die Provider sollen ihre Nameserver so umbauen, daß Webseiten, die das BKA aussucht und ihnen nennt, nicht erreichbar sind und dem Nutzer bei Aufruf stattdessen eine Sperrseite angezeigt wird. Gleichzeitig soll das BKA jederzeit abrufen könne, welche Nutzer auf Webseiten aus dieser Liste zugreifen wollten und stattdessen auf die Sperrseite geleitet wurden.
Ein normaler Internetnutzer, der seinen Nameserver nicht auf einen freien DNS-Server umstellt, sieht bestimmte Seiten nicht und erhält die Mitteilung, er wolle sich gerade Kinderpornografie ansehen. Ob das stimmt, weiß er nicht und nachprüfen darf er das auch nicht, da ja schon die Suche nach Kinderpornografie strafbar ist. Der Nutzer muss sich in diesem Moment weiterhin im Klaren sein, daß er gerade etwas getan hat, was das BKA als illegal ansieht und als Grund ansehen kann, gegen ihn vorzugehen.
Die allein schon technisch verursachten Risiken für jeden Internetnutzer sind immens, noch dazu, weil man damit auch noch eine perfide Beweisumkehr eingebaut hat: Sie müssen künftig ihre Unschuld beweisen, z.B. daß sie „versehentlich“ die gesperrte Seite angesteuert haben. Viel Spaß beim Versuch, Richtern TinyUrls, iFrames, Rootkitangriffe, Hidden Scripting und so weiter zu erklären, wenn Sie überhaupt wissen, was das ist.
Die Lösung zunächst: Den Nameserver umstellen, um sich dieser Gefahr vollständig zu entziehen. Geht schnell und kann jeder.
Die Technik ist allerdings interessanterweise das kleinste Problem in dieser ganzen Geschichte. Es gibt Staaten, die in ihren Zensurbemühungen schon wesentlich weiter sind. Die Menschen dort können dennoch sowohl anonym als auch unzensiert das Internet benutzen. Das Internet ist von Nerds gebaut worden. Ein Staat kann da so viel fordern wie er will, er wird das Netz auf technischer Ebene never ever kontrollieren können.

censored

Verwaltung
Hier liegen die springende Punkte, die das Ganze zum Zensurinstrument machen:
1. Die gesperrten Inhalte stehen auf einer Liste, die das BKA direkt und ohne Prüfungsinstanz erstellt und die die Provider möglichst ohne sie anzuschauen zu installieren haben. Es entscheidet kein Richter über den Inhalt, es überprüft keine unabhängige Institution über die Rechtmäßigkeit, es gibt keine Regelung, wie Adressen überhaupt wieder von der Liste gelöscht werden könnten. Die Polizei, die Verbrecher verfolgt, bestimmt, welcher Wunsch nach welcher Information ein Verbrechen ist. Vorab zu definieren, was ein Verbrechen ist und hinterher darüber zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde ist aber nicht Aufgabe der Polizei.
2. Die Liste ist geheim. So lange diese Liste nicht in die Öffentlichkeit gerät kann alles drinstehen und nichts davon muss gerechtfertigt werden. Wer das in Frage stellt wird zum Verdächtigen. Wie Zensur in Reinform eben funktioniert.
3. Der Gesetzentwurf ist schwammig genug, daß das BKA im Prinzip alles in die Liste setzen kann. Da im Web jeder Inhalt nur einen Klick weiter vom letzten entfernt ist und das Gesetz möchte, daß auch „mittelbare“ Seiten gesperrt werden können, kann somit de facto auch jede Seite gesperrt werden.
4. Das System soll die direkte Verfolgung von Zugriffen erlauben. es wird nicht nur gesperrt, sondern es kann auch nachgeschaut werden, wer sich die gesperrten Seiten ansehen will. Dies kann dann Anlass für verdeckte Überwachungen, Hausdurchsuchungen und andere existenzbedrohende Vorgänge sein.
Die Staatsanwälte dieses Landes üben ja seit einiger Zeit kräftig an der Vorverurteilungsfront, indem Sie inzwischen gerne mal Pressemitteilungen über eingeleitete Verfahren rausgeben und die Presse direkt zu möglichst spektakulär und öffentlichkeitswirksam inszenierten Verhaftungen mitnehmen (Zumwinkel, Tauss, Frau B.).

Psychologie
Womit wir schon beim gewünschten Effekt von Zensur sind: Die Einführung der Schere im Kopf. Die wirksame Selbstzensur, weil man nicht weiß, was eventuell passiert, wenn man zu laut und deutlich Kritik äußert. Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.
Ein anderes ist die Verknüpfung mit dem Thema Kinderpornografie, womit wir wieder am Beginn dieses Artikels wären. Man weiß ja inzwischen, daß auch nur der leiseste Ruch, man könnte eventuell irgendwas mit Kindesmissbrauch und Pädophilen zu tun haben, die Existenz vernichten kann, selbst wenn hinterher rauskommt, daß tatsächlich nichts an den Vorwürfen dran war. Wie nahezu generell nichts rauskommt. Das ist ein so extrem starkes und wirksames Druckmittel, was natürlich beispielsweise ein Herr Gorny sofort erkennt, weil sein Versuch, diese Schere im Kopf einzuführen (durch den Versuch, Filesharing als schreckliches Verbrechen zu diskriminieren), wirkungslos blieb und er sich nun an den besser funktionierenden Trigger dranhängt (indem er Urheberrechtsverletzung mit Kindesmissbrauch gleichsetzt).
Die Justizministerin gibt dann noch Tipps in die richtigen Richtungen, die natürlich prompt reagieren. Überhaupt, das mal ganz nebenbei, finde ich es immer wieder seltsam, daß Frau Zypries immer wieder als Warnerin vermittelt wird. Dabei war – so sagt sie zumindest – sie es, die den Gesetzentwurf gegenüber dem Vorabvertrag von Frau von der Leyen verschärfen ließ und dieser nun schon den Zugriff auf Stopp-Seiten verfolgen lassen will.

Um die Frage zu beantworten, warum und wann es in einer Gesellschaft überhaupt dazu kommen kann, daß ein Teil davon meint, einen solchen Eingriff vornehmen zu müssen und der andere Teil (zu dem ich u.a. mich zähle) darin ein so massives Unrecht sieht, das es zu bekämpfen gilt, kann man sich bitte den Artikel „Kampf der Kulturen“ drüben bei netzpolitik.org durchlesen.

Der Autor dieses Artikels ist Jens Scholz, der unter www.jensscholz.com bloggt und dort auch diesen Text veröffentlicht hat, mit der ausdrücklichen Aufforderung ihn zu kopieren und zu verbreiten. Das habe ich hiermit getan und rufe auch euch dazu auf: Teilt diesen Atikel mit anderen!

UPDATE: Jetzt kann man sich auch aktiv gegen die Internetzensur engagieren, indem man diese Petition unterzeichnet.  Mehr dazu hier…