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Das ist Merkels BND-Affäre

Seit bald zwei Jahren werden wir von unserer Bundesregierung vorgeführt. Manch einer mag behaupten, das geht schon wesentlich länger, aber lassen wir die Polemik einen kleinen Moment zur Seite.

Seit dem Beginn der Snowden Enthüllungen wird uns eine lückenlose Aufklärung versprochen, dessen was die Geheimdienste in unserem Land treiben. Seither wird uns vorgegaukelt, es kümmere irgendjemanden, was mit unseren Grundrechten und unserer Privatsphäre geschieht. Seit Beginn der Spionage-Affäre hat sich auch angedeutet, dass der BND darin sehr viel tiefer verwickelt ist, als gedacht.

Wir wurden an unzähligen Stellen belogen

Nun, da sich das ganze Ausmaß entfaltet, wird gleichzeitig offenbar an wie vielen Stellen wir auch im Anschluss belogen wurden. Als Angela Merkel versicherte, dass die Amerikaner sich auf deutschem Boden an deutsches Recht halten würden, war das schlicht falsch. Das geht aus dem Mail-Verkehr hervor, den die Süddeutsche veröffentlicht. Das No-Spy-Abkommen, das uns zur Beschwichtigung hingehalten wurde, wurde in dieser Form nie diskutiert oder versprochen. Als Berater zur Aufklärung in die USA flogen, ging es dabei vor allem darum, wie man die Wogen der Diskussion glätten könnte.

Die Bundesregierung behindert aktiv die Aufklärung des Geheimdienstskandals

Und auch nun im BND-Skandal verspricht man uns Aufklärung. Während die Kanzlerin also verlauten lies, dass Abhören unter Freunden gar nicht ginge, lauschte die eigene Unterabteilung des BND zusammen mit der NSA bei den Franzosen. Dazu verliest Steffen Seibert Mal für Mal sorgsam formulierte, nichtssagende Pressemitteilungen. Bei Fragen verweist das offizielle Sprachrohr der Kanzlerin darauf, dass man nichts weiter sagen könne. Alles Weitere soll im zahnlosen Parlamentarischen Kontrollgremium geklärt werden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Stets wird von Aufklärung gesprochen und noch im selben Satz auf die Geheimhaltung der betroffenen Dokumente verwiesen. Tatsächlich wurde bislang kein Schritt Richtung Aufklärung unternommen. Die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschuss wurde sogar aktiv behindert, in dem man eine Einladung Edward Snowdens zu verhindern wusste.

Es sind schon Bundeskanzler wegen weniger Spionen zurückgetreten

Nun versucht man einen Geheimdienstkoordinator, Kanzleramtsminister oder Innenminister als Bauernopfer zu positionieren, um den Skandal abermals zu beschwichtigen. Das bringt uns aber nicht weiter. Schließlich weist die Verantwortung inzwischen viel höher. Es ist Merkels BND-Affäre. Aber zunächst brauchen wir tatsächlich endlich eine Aufklärung und viel wichtiger eine Änderung der Zustände: Das anlasslose Ausspionieren unseres Privatlebens muss aufhören.

Im Zuge dessen kann man sehen welche personellen Konsequenzen gezogen werden müssen. Aber, Polemik wieder an, es sind schon Bundeskanzler wegen weniger Spionen zurückgetreten. [Tweet this]

Bild: CC-BY-2.0 EPPofficial
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ieser Artikel erschien zunächst in der Allgemeinen Zeitung

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Politik

Geheimdienste außer Kontrolle

Der deutsche Untersuchungsausschuss der NSA-Affäre hat große Angst vor Whistleblowern. Dabei verdankt er seine Existenz dem Whistleblower Edward Snowden. Aber auch den möchte man lieber nicht dabei haben und windet sich ihn als Zeugen einladen zu müssen.

Danke Snowden, aber mach das nicht nochmal!

Noch größere Angst hat man vor Whistleblowern aus den eigenen Reihen. Die Bundesregierung hat nun einzelne Vernehmungen als streng geheim eingestuft. Kanzleramtsminister Peter Altmeier hat öffentlich mit einer Anzeige und Strafverfolgung gedroht, sollten noch einmal sensible Informationen aus dem Ausschuss nach außen gelangen. Diese Absurdität muss man sich mal vor Augen führen: Da setzt man einen Untersuchungsausschuss ein, um aufzuklären, aber nichts davon soll an die Öffentlichkeit.

Geheimdienste Kontrolle, zahnloser als ein Ameisenbär

Leider hat das bei der „Kontrolle“ der Geheimdienste System. Das parlamentarische Kontrollgremium, das normalerweise die geheimdienstlichen Tätigkeiten überwacht, ist zahnloser als ein Ameisenbär. Zwar hat es theoretisch das Recht seine Nase in alle Angelegenheiten der Geheimdienste zu stecken, ist aber praktisch vom Auskunftswillen der Dienste abhängig.

Die Gefahr dabei etwas Brisantes zu erfahren ist in etwa so hoch, wie in der Fußgängerzone von erwähntem Ameisenbär angefallen zu werden. Und sollten sie doch einmal etwas erfahren, ist ihnen nicht gestattet damit an die Öffentlichkeit zu treten.

Dabei sind die Mitarbeiter und Vorsitzenden der Geheimdienste nicht demokratisch gewählt. Sie überdauern im Zweifel die Amtszeiten vieler Politiker und unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle.

Geheimdienst Kotrolle: Zahnlos wie ein Ameisenbär

Geheimdienste haben demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt

In Laura Poitras Dokumentation „Citizenfour„, besucht sie neben Edward Snowden auch ein Gerichtsverfahren in den USA. Mit diesem versuchen einige Bürger sich gegen die Überwachung durch ihren Staat zu wehren. Der Staatsvertreter bringt zu seiner Verteidigung an, dass man die Angelegenheit doch besser der Legislative und Exekutive überlassen soll. Als der Richter nachfragt, ob man ihn als Judikative und dritte Gewalt im Staat damit ausschließen möchte, reagiert der Regierungsvertreter ertappt und antwortet ausweichend. So weit sind wir: Die Geheimdienste haben die demokratischen Prinzipien außer Kraft gesetzt, werden nicht kontrolliert und Verfahren finden im Verborgenen statt. Währenddessen können sich die Geheimdienste weiter wie ein Krebsgeschwür unkontrolliert in der Gesellschaft ausbreiten.

Titelbild: BND-Quartier in Berlin, CC BY-NC-SA 2.0 Andreas Levers
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ild: Ameisenbär im Zoo, CC BY-NC-ND 2.0 zutaten

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Politik

Snowden-Enthüllungen: Es ist zum Verzweifeln

Durch einen Fehler in der Produktion erschien meine erste Kolumne in der Allgemeinen Zeitung gleich zweimal. Darin ging es um die Post-Snowden-Ära und wie es ist mit dem Wissen zu leben, überwacht zu werden. Und eigentlich könnte sie noch ein drittes Mal erscheinen, denn seither hat sich  nichts geändert.

Über ein Jahr nach den Snowden-Enthüllungen hat sich nichts geändert

Über ein Jahr nach den ersten Snowden Enthüllungen leben wir immer noch mit dem Wissen, überwacht zu werden. Man kann sich die Finger wund schreiben und es tut sich nichts. Einige tun das auch. Sascha Lobo hat seit den Snowden-Enthüllungen jede seiner Kolumnen bei Spiegel Online der Überwachungsdebatte gewidmet, ein weiterer Spiegel Online Redakteur twittert automatisiert wöchentlich seine Artikel zu den Überwachungsprogrammen Prism und Tempora mit den Worten „Immer noch wahr“.
Eben weil sich nichts geändert hat. Daraus spricht eine gewisse Verzweiflung, aber auch Wut.

Wut, dass sich so wenig getan hat. Dass unsere Regierung so wenig tut. Dass sie sich nach einem Jahr mit viel Hin und Her gerade einmal dazu durchgerungen hat, in dem Fall von Merkels Handy-Überwachung zu ermitteln. Währenddessen bleibt die Überwachung von Millionen Bundesbürgern ohne Konsequenzen.

Wut mit ansehen zu müssen, wie ein Überwachungsapparat ausgebaut wird

Es ist diese Wut darüber, dass man zusieht, wie ein Überwachungsapparat ausgebaut wird, der die Tätigkeiten der Stasi mit ihren begrenzten Mitteln fast dilettantisch wirken lässt. Dass unsere Regierung stattdessen sogar akzeptiert, wenn die USA grundsätzliche demokratische Rechte aushebelt.

Und dann bringen auch Sie mich noch zum Verzweifeln, genau Sie lieber Leser. Denn offensichtlich ist einem Großteil der Bürger schlichtweg egal, dass sie digital überwacht werden.

Was, wenn ihre Postkarten gespeichert würden?

So wie Sie es vermutlich zu Recht verwunderlich fänden, wenn ein Geheimdienstmitarbeiter den Inhalt all Ihrer Postkarten speichern würde, akzeptieren Sie es derzeit im Digitalen mit der E-Mail. Dabei gäbe es hier die Möglichkeit sich zu wehren. Eine E-Mail-Verschlüsselung einzurichten ist nicht schwer. Aber selbst wenn ich Ihnen jetzt rate einen anderen SMS-Ersatz als Whats-App herunterzuladen, werden es vermutlich die Wenigsten tun.

Zum Jahrestag der Snowden-Enthüllungen gab es einen Aktionstag, der den Nutzen von Verschlüsselung propagieren sollte. Das Echo war verhalten. Dabei wäre ein konsequenter Einsatz von verschlüsselter Kommunikation ein wirksamer und vielleicht der einzige Weg, um sich gegen die Überwachung zu wehren. Aber die Wenigsten tun es. Da kann man verzweifeln und wütend werden. Und mir bleibt wohl nicht viel anderes übrig, als mir die Finger wund zu schreiben.

Bild: CC-BY 2.0 Thierry Ehrmann
Dieser Text erschien zunächst in der Allgemeinen Zeitung

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Netz & Politik

Vertrauensmissbrauch & Herzbluten

Vertrauen ist immer ein Vorschussgut. Ich kann nur bewerten, ob es richtig war jemandem zu vertrauen, wenn er dieses Vertrauen bricht. Ich weiß also erst, dass es falsch war, wenn es zu spät ist und bis dahin kann ich mir nie sicher sein, ob es richtig ist.

Vertrauen ist ein Vorschussgut

So haben wir zahlreichen Webservices unsere Passwörter und persönliche Daten anvertraut. Diese wiederum haben in der Mehrheit auf die Verschlüsselungstechnik openSSL vertraut. Nun hat sich herausgestellt, dass genau dieser Software eben nicht vertraut werden kann. Der Fehler ist passenderweise nach dem Gefühl benannt, dass verletztes Vertrauen hervorruft: Heartbleed (Herzbluten).

Ein weiterer Vertrauensvorschuss in der Welt der Software, besonders der openSource Software, ist dass wenn jemand einen Fehler findet ihn entweder meldet oder repariert. Das ist auch passiert. Aber erst später, denn es halten sich die Vorwürfe, dass die NSA genau diesen Fehler bereits seit Jahren ausgenutzt hat, um die Passwörter und privaten Informationen von uns allen herauszufinden. Zwar bestreitet die NSA das weiterhin, doch da sie das Vertrauen bereits einmal missbraucht hat, folgt daraus dass man ihr nun nicht mehr vertraut.

Die Regierung hat Vertrauen verspielt. Zurückgewinnen wird schwer.

Das ist der nächste Schritt nach einem Vertrauensbruch: Man vertraut demjenigen erst einmal nicht mehr und unterzieht ihn einer genaueren Kontrolle. Die Geheimdienste entziehen sich dieser Kontrolle und schaden damit massiv der Demokratie. Man misstraut nun nämlich nicht nur den Geheimdiensten, sondern auch der Regierung, die diese Kontrolle eigentlich durchführen sollte. Sei es das gescheiterte Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts zur Aufklärung der Verstrickung der Bundesregierung in die Späh-Affäre oder Obama zu zaghaften Zugeständnisse die NSA zu reformieren.

Der Staat muss den Bürger trauen

Sie alle haben damit enormes Vertrauen verspielt. Vertrauen zurückzugewinnen ist noch schwerer. Das ist ein langsamer und langwieriger Prozess. Das basiert zum einen auf Gegenseitigkeit. Der Staat muss also seinen Bürgern Vertrauen zeigen, und sie nicht mit Maßnahmen wie einer Vorratsdatenspeicherung als potentielle Verbrecher behandeln. Zum anderen geht es darum, dass man sich selbst kontrollieren lässt. Im Fall der Regierung haben wir Kontrollorgane, wie die Öffentlichkeit und die Presse. Im Fall der Geheimdienste sind wir auf zufällige Veröffentlichungen, wie durch den Whistleblower Edward Snowden angewiesen. Der parlamentarische Kontrollausschuss gilt weithin als zahnloser Tiger.

Wenn die Regierung unser Vertrauen zurückgewinnen möchte, sollte sie anfangen ihre Geheimdienste besser zu kontrollieren. Wir kontrollieren solange, ob wir alle Passwörter erneuert haben.

Diese Text erschien zunächst in der Allgemeinen Zeitung

[quote_box_center]Wie reagiert ihr auf den Überwachungsskandal und wie habt ihr die Berichterstattung dazu wahrgenommen? Dazu bin ich gerade Teil eines Uniprojekts und ihr könnt helfen, indem ihr 5 Minuten diese Onlinebefragung beantwortet.[/quote_box_center]

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Medien

USA-Reise: Journalism in the Digital Age

Ich wurde zu einer Pressereise in die USA eingeladen*. Es geht um „Journalism in the Digital Age“, also genau das, was mich beschäftigt. Die Stationen sind Washington, Detroit und Los Angeles und los geht es jetzt am Sonntag, 23.2.

Ich werde euch natürlich hier auf dem Laufenden halten und hoffentlich auch das ein oder andere Video drehen.

Vor dem Abflug beschäftigt mich aber noch: Was für Sicherheitsvorkehrungen muss man denn als Journalist treffen bevor man in die USA reist? Ist es paranoid den Laptop vorher zu leeren und ein Zweitsmartphone zu wählen? Macht der physische Zugang in Zeiten von Prism überhaupt einen Unterschied? Vielleicht habt ihr ja noch Tipps und Anregungen.

*eingeladen bedeutet, mir wird alles mögliche bezahlt, Anreise, Unterkunft etc. Das nur als Disclosure.

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Gesellschaft Netz &

Das Internet – Von der Utopie zur Dystopie

Das Internet ist kaputt und Sascha Lobo ist gekränkt. Zutiefst. Das schrieb er in einem vielbeachteten Feuilleton-Artikel in der FAZ. Wie man das als Feuilletonist so macht, hat er aber nicht nur sich gemeint, sondern in der Tradition von Sigmund Freud gleich von einer Kränkung der gesamten Menschheit gesprochen. Dabei geht es um den Missbrauch der Internettechnologie durch Geheimdienste. Sascha Lobo hing wie die meisten Netzpioniere und –verfechter, gemeinhin als Netzgemeinde bekannt, der Utopie an, das Netz könne Demokratie und Gleichheit fördern. Tatsächlich hat das Internet Unglaubliches hervorgebracht: Es hat Unterdrückten in vielen Ländern eine Stimme gegeben. Mehr noch hat es jedem ein Mikrofon gegeben, mit dem man viele Menschen zu gleich erreichen kann. Die Wikipedia hat das Wissen der Welt verfügbar gemacht und kann sicherlich als neues Weltwunder bezeichnet werden, immerhin stecken darin mehr Arbeitsstunden als in den Pyramiden von Gizeh.

Miley Cyrus statt Protest

Auf der anderen Seite hat es Unterdrückern erlaubt, diejenigen die ihre Stimme erheben, zu verfolgen und ihre digitalen Datenabdrücke zu sammeln. Seit den Snowden Enthüllungen wissen wir, dass das mit jedem geschieht, selbst denen, die ihre Stimme nicht erheben. Gleichzeitig nutzen die meisten Menschen das Internet dann doch nicht um die Demokratie sturm zu beschützen. Anstatt ihre Stimme gegen Unterdrückung und Überwachung zu erheben, tun sie das eher zum neusten Miley Cyrus Video. Anstatt Wikipedia-Artikel zu lesen, verfolgt man lieber Facebook-Status Updates. Da nehme ich mich nicht aus. Es war irrig anzunehmen, dass ein neues Medium es schafft, die Gewohnheiten der Menschen zu verändern. Schließlich hat auch in der stofflichen Welt die BILD-Zeitung eine höhere Auflage, als diese hier oder die FAZ. Das Internet ist eben nur ein Werkzeug, das für Vieles eingesetzt werden kann.

Aus der Utopie ist eine Dystopie geworden

Aber aus der Utopie ist eine Dystopie geworden. Durch die massenhafte Überwachung ist das Internet zu einer Welt geworden, in der nicht mehr die Demokratie, sondern die Geheimdienste und wenige Konzerne vorherrschen. Statt einem Werkzeug für die Freiheit und einem Fenster zur Welt wandelt es sich zu einem der ständig berieselnden und überwachenden Bildschirme aus Orwells 1984 oder Fahrenheit 451.
Aber man kann es reparieren. Dazu müssen neue Werkzeuge her. Die der sicheren Verschlüsselung, die einer offenen und neutralen Netzarchitektur, gefördert mit öffentlichen Geldern, abseits wirtschaftlicher und geheimdienstlicher Interessen.

Dieser Text erschien zuerst als Kolumne in der Allgemeinen Zeitung
Bild: Some rights reserved by mararie

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Gesellschaft Netz & Politik

Leben in der Post-Snowden-Ära

Wie lebt es sich mit dem Wissen überwacht zu werden? Was man früher im Geschichtsunterricht mit Blick auf die Stasi-Zeit nur schwer nachvollziehen konnte, erleben wir heute alle am eigenem Leib. Und zunächst ändert sich gar nicht so viel. „Heute schon was für die NSA gepostet?“, witzelt man über die eigenen Facebook-Aktivitäten und versteckt hinter diesen Witzen doch nur die eigene Machtlosigkeit. Doch auf zweiter Ebene passiert noch etwas anderes: Langsam überlegt man sich: Was kann ich noch schreiben, was kann ich noch sagen, wenn ich weiß, dass alles im Zweifel gegen mich verwendet wird?

Manche mögen sagen, dass man sich das immer schon hätte überlegen sollen, denn im Prinzip ist alles, was man ins Netz stellt nur einen Klick von privat zu öffentlich entfernt. Aber was aktuell passiert, geht viel weiter. Führt der Urlaub im falschen Land dazu, dass ich auf einer Liste lande, von der nicht weiß, warum sie existiert? Verweigert man mir beim nächsten USA Besuch eventuell die Einreise aufgrund eines kritischen Kommentars? Das ist das wirklich Perfide. Wir alle entwickeln eine Schere im Kopf, die uns nicht mehr so frei kommunizieren lässt, wie vorher. Sollte sich nichts an der massiven Überwachungssituation ändern, haben uns Endwards Snowdens heldenhafte Enthüllungen im ersten Schritt unfreier gemacht als zu vor, weil wir anfangen uns selbst zu zensieren. Das ist einer Demokratie unwürdig.

Dies war meine erste Netzfeuilleton-Kolumne für die Allgemeine Zeitung

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Bewegen & Beschäftigen

#IchBinVerdächtig: Wie schnell man zum Überwachten wird

Schaut euch mal an, was folgende Person X in den vergangenen Tagen getan hat. Klingt das nicht irgendwie verdächtig?

Handlungen von Person X im Zeitraum 10. - 20. September:
  • Hat persönlichen Kontakt zu Daniel Domscheit-Berg, dem früheren zweiten Kopf hinter WikiLeaks.
  • Hat E-Mail-Verkehr mit Daniel-Domscheit-Berg.
  • Verwendet plötzlich einen verschlüsselten Messenger
  • Reist nach Armenien, einem Nachbarland des Iran
  • Hat dort seine SIM-Karte abgeschaltet
  • Verwendet eine SIM-Karte, die auf eine andere Person zugelassen wurde

Diese Person X bin ich. Das habe ich in den letzten Tagen getan und all diese Handungen kann man natürlich ganz einfach erklären, wenn man den Kontext kennt: Daniel Domscheit-Berg habe ich interviewt. Ich bin auf die App Threema umgestiegen, um eine sicher Alternative zu WhatsApp zu haben. Die Reise nach Armenien war einfach ein Urlaub und ich habe eben dort eine lokale SIM-Karte eingesetzt, um erreichbar zu sein ohne horrendes Roaming zu bezahlen. So gesammelt und aus dem Kontext gerissen wirken die Handlungen aber sehr seltsam und geben ein seltsames Bild ab. Das ist aber genau, was die NSA & Co. tun, sie analysieren Meta-Daten, zu denen sie den Kontext nicht kennen und versuchen darin Muster oder Abweichungen zu erkennen. So kann es dazu kommen, dass man mit ganz einfachen alltäglichen Handlungen auf die Überwachungsliste von den überwachenden Geheimdiensten landet. Das ist auch, was Daniel-Domscheit Berg im Interview erwähnte: „Die Menschen müssen endlich verstehen, wie einfach es ist auf diese Liste der Überwachten zu geraten.“ Um das zu erreichen und begreifbar zu machen, rufe ich auch euch auf, zu überlegen, was habt ihr in letzter Zeit „verdächtiges“ getan? Habt ihr euch von Facebook abgemeldet, seid ihr da gar nicht? Habt ihr angefangen eure eMails zu verschlüsseln? Wart ihr im Ausland und habt einen seltsamen Umweg genommen? Zu wem habt ihr so Kontakt? In welcher Gegend wohnt ihr? Mit wem habt ihr Mail-Verkehr und was stand dort zuletzt im Betreff? Schreibt ihr Mails ohne Betreff? Schaut mal von Außen auf eure Handlungen und überlegt, wie diese ohne Kontext wirken.

NSASexting

Twitter, Bloggt, teilt was ihr „Verdächtiges“ getan habt. #IchBinVerdächtig

Am besten ihr twittert oder bloggt es dann oder teilt diesen

Artikel auf Facebook. Der Zentrale Hashtag dazu ist #IchBinVerdächtig. Will euch partout nichts einfallen, denkt noch mal nach und abstrahiert euer Verhalten. Mit eurer Hilfe, kann das zu einem #Aufschrei für die Netzpolitik werden. Ich hab auch einen tumblr für diese Aktion eingerichtet, in dem ich möglichst viele der einlaufenden Reaktionen sammeln möchte. Meine Hoffnung ist dadurch erkennbar zu machen, wie einfach jeder Opfer von Überwachung werden kann oder es schon lange ist und Schluss zu machen, mit der Behauptung „Ich habe nichts zu verbergen“. Das hat jeder.

#IchBinVerdächtig

NSAVacation

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Politik

„Mir fehlt der Mut der Bundesregierung“ – Daniel Domscheit-Berg zum NSA-Skandal

Die Auswirkungen des NSA-Skandals werden durch die ständig neuen Enthüllungen von Edward Snowden immer größer. Daniel Domscheit-Berg war lange Zeit der zweite Kopf hinter Wikileaks. Nach einem Streit mit dem Gründer Julian Assange trennte er sich von der Plattform und beschäftigt sich heute mit Netzwerksicherheit und engagiert sich für die Piratenpartei. Diese Woche war er in Mainz zu Gast und diese Zeitung sprach mit ihm über die Auswirkungen der NSA-Affäre.

Daniel, nach deinen Erfahrungen früher bei Wikileaks, inwieweit warst von den Snowden-Enthüllungen noch überrascht?

Es gibt Teile dieser Enthüllungen, die vorher schon bekannt waren oder man hatte eine Idee davon. Es ist bekannt welche Technologien es gibt und man kann, wenn man sich dafür interessiert eine Idee entwickeln, was da passiert. Die Dimensionen sind aber noch einmal etwas ganz anderes. Das Wichtigste an diesen Enthüllungen ist, dass wir uns bewusst werden, dass es hier nicht um eine kleine Sammlung von Daten geht. Hier ein System so groß geworden, dass niemand sich das überhaupt vorstellen kann. Ausgedruckt würde der Datenbestand der NSA das 1,7-fache der Fläche Europas bedecken. Das macht das Ganze vielleicht etwas verständlicher.

Gab es für dich denn einen Schlüsselmoment, in dem du das Ausmaß des Skandals erfasst hast?

Ich habe solche Schlüsselmomente mit jedem Teil dieser Enthüllungen. Alles, was wir bisher gehört haben zeigt weitere Facetten dieses Problems auf und zeigt welche technischen Komponenten attackiert werden. All das macht mich persönlich betroffen, denn ich habe eine Vorstellung davon wie viel von der Integrität dieser Komponenten in einer vernetzen Welt abhängt. Ich weiß, dass wenn all diese einzelnen Bausteine wegbrechen, sich das zu einem richtigen Problem entwickelt.

Es macht betroffen – und es macht hilflos. Was kann man dann jetzt tun? Zunächst mal auf einer politischen Ebene. Denn selbst wenn die Verstrickungen in Deutschland aufgeklärt würden, ist damit noch nicht abgestellt was die NSA mit dem internationalen Internetverkehr in den USA tut.

Zunächst würde ich mir wünschen, dass unsere Bundesregierung einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Dieser Untersuchungsausschuss braucht eine Beteiligung der Zivilgesellschaft. Für mich ist wichtig, dass unabhängige Experten an der Aufklärung beteiligt werden, die in unserem Interesse agieren. Natürlich braucht es auch Informationen der Amerikaner. Da müssen wir klarer kommunizieren, dass wir mit den Informationen, die wir bisher bekommen nicht zufrieden sind. Wir müssen mehr Transparenz einfordern und auch den politischen Mut haben, einem Verstoß von Seiten der Amerikaner mit Konsequenzen auf diplomatischer Ebene zu begegnen.
Wieso sollen wir mit ihnen über neue Wirtschaftsabkommen verhandeln? Wieso sollen wir Abkommen, wie die SWIFT-Verträge und die Weitergabe von Fluggastdaten aufrecht erhalten, wenn wir wissen, dass das gegen uns verwendet wird? Da fehlt mir der Mut in der Bundesregierung. Wir sind in Deutschland nicht so abhängig. Wir könnten viel aggressiver unsere Rechte einfordern und unsere Souveränität verteidigen. Ich finde es beschämend, dass unsere Regierung, das nicht im Ansatz hinbekommt.

Bis wir soweit sind, was kann man denn auf individueller Ebene tun? Kann man sich schützen? Muss man all seine E-Mails verschlüsseln oder Aufhören in sozialen Netzwerken zu kommunizieren?

Idealerweise würden wir per se sicherer kommunizieren. Die Forderung, dass mehr Menschen ihre Mails verschlüsseln sollen ist älter als der Skandal. Aber das ist Teil eines Lernprozesses, reifer mit diesen Medien umzugehen. Will ich heute einen Brief schreiben, schreibe ich ja auch einen Brief und keine Postkarte. Insofern ist die Debatte wichtig. Nicht damit jeder lernt, wie er zum Krypto-Experten wird und sich in Zukunft ein Wettrüsten gegen den Staat liefert, sondern dass Leute für die Thematik sensibilisiert werden und ein paar der Fragen hören, die sie sich selbst stellen müssen. Dazu gehört: Welche Daten gebe ich überhaupt zu wem? Weiß ich, wie derjenige mit diesen Daten umgeht? Diese grundlegenden Fragen sind viel größer als die NSA-Affäre.

Was kann denn mit diesen Daten passieren? Wo entsteht denn der Nachteil, wenn man sich selbst nichts vorzuwerfen hat?

Das Problem ist, dass die Verknüpfung einem gar nicht bekannt ist. Ich weiß vielleicht, dass ich mich bei Facebook und bei einem anderen Dienst angemeldet habe. Da habe ich mittlerweile auch eine Vorstellung davon, was das für mich bedeutet. Problematisch wird es, wenn alle diese Daten hinter meinem Rücken zusammengeführt werden. In dem Moment, indem jemand meine Kommunikation kennt und mein Verhalten und diese beiden Dinge verknüpfen kann, kann er ein Profil von mir aufbauen. Beispielsweise, wenn es um sexuelle Vorlieben geht. Darum ob ein Homosexueller Safer Sex praktiziert. Dieser Datensatz wird dann von Anderen, wie einer Krankenkassen gekauft und plötzlich geht es um die Entscheidung einer Lebensversicherung, die dann nicht gewährt wird. Es gibt viele Bereiche, in denen das schwer vorstellbar ist, in der Realität aber sehr detaillierte Profile angelegt werden können. Erst vor kurzem kam raus, dass Versicherungen auch Informationen aus Facebook nutzen wollen, um Menschen besser einstufen zu können. Ebenso wenn man bei der Bank einen Kredit beantragt, dann wird in die Risikobewertung mit einfließen, wie ich mich in sozialen Netzen verhalte. Das ist doch eine komplett verrückte Welt und man hat keine Möglichkeit, das zu steuern. Das ist das eigentliche Problem.

Deine Trennung von Wikileaks und Julian Assange erfolgte ja damals im Streit. Siehst du es kritisch, dass Edward Snowden die Nähe zu Julian Assange, beziehungsweise umgekehrt, sucht?

Wer da wessen Nähe sucht, weiß ich nicht. Ich würde sagen, es ist eher umgekehrt. Das ist für mich aber zweitrangig. Das paradoxe und traurige an dieser Situation ist, dass der mutigste Mensch auf diesem Planeten, der uns allen als Zivilgesellschaft einen Riesengefallen getan hat, momentan kann kaum Freunde finden kann. Da ist es doch wichtig, egal wer das nun ist, das ihn Leute auch öffentlich unterstützen. Da ist mir natürlich auch egal, wie ich mich mit denen verstehe. Da geht es um die Sache.

Nachdem ich mich jetzt mit Dir unterhalten habe und wenn man deine Vergangenheit bei Wikileaks mit einbezieht, werde ich jetzt auch überwacht?

Davon würde ich mal schwer ausgehen, spätestens wenn Sie mir eine Mail schicken. Dann sind aber nicht nur Sie, sondern auch ihre Kinder und Bekannten, und deren Freunde und Verwandte mit drin. Die NSA zumindest geht bis zur dritten Ecke. Das System kennt eben kein Limit mehr. Die Menschen müssen endlich verstehen, wie einfach es ist auf diese Liste der Überwachten zu geraten. Die Absurdität der Liste schützt vor Überwachung nicht.
Das muss eigentlich dazu führen, dass möglichst viele Menschen in diese Solidargemeinschaft der Überwachten kommen und sich daraus dann hoffentlich ein Protest bildet.

Eine gekürzte Fassung dieses Interviews erschien auch in der Allgemeinen Zeitung. Bild & Kamera: Alex Boerger

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TV-Sender auf Youtube, die 1,6% der NSA & Bezos | morgenlinks

Deutsche TV-Sender auf YouTube

(Digitaler Film, Bertram Gugel)
Wie schlagen sich deutsche TV-Sender auf YouTube? Eher schlecht. Manchen nutzen die YouTube-Kanaäle als Müllhalde, andere als Marketingkanal. Eine wirkliche Strategie hat keiner und dementsprechend bleiben sie hinter generischen YouTubern zurück. Ein Beispiel: Die ARD erreichte mit 9,828 Videos ingesamt 77 Millionen Abrufe, der YouTuber alexibexi mit 246 Videos über 115 Millionen.

NSA by the numbers

(buzzmachine.com, Jeff Jarvis)
Alles halb so schlimm, die NSA „touched“ täglich nur 1,6% des weltweiten Internetverkehrs. Also gar nicht so viel? Das könnten dann so 29 Petabytes sein oder für einen anschaulicheren Vergleich Google sagte 2012 es habe bislang nur 0.004% der Daten im Netz indiziert. Macht das aus der NSA is equal to 400 Googles?

While We’re Trying To Follow His Game Of Checkers, Jeff Bezos Is Playing Chess

(techcrunch.com, MG Siegler)
Was will Jeff Bezos mit der Washington Post? Während hier Springer auf dem Weg zum digitalen Medienunternehmen den Großteil seiner Printtitel verkauft, kauft sich der Gründer von amazon die alte und ehrwürdige Washington Post. Einigkeit herrscht nur darüber, dass Bezos ein genialer Geschäftsmann ist. Aber ob die Washington Post in Zukunft wirklich mit dem Versandwarenhaus amazon verbandelt werden soll oder ob es sich nur um Mäzentum handelt wird wohl erst die Zeit zeigen.

Ideen für mögliche Synergien zwischen Washington Post und amazon habe ich hier gesammelt.

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