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Meuterei auf der Bounty

Auf dem Podium des Frankfurter Tag des Onlinejournalismus sprach ich noch davon, dass „das Netz“ sehr selten einer Meinung ist. Bisher war das eigentlich nur im Fall der „Zensursula“ so, was schwang doch dort für ein Aktionsdrang durch das Twitterweb; ein Ruck ging durch die Blogosphäre. Einheitlich marschierte man Richtung Bundestag, auch in Form der Piratenpartei, die bei der europawahl immerhin aus dem Stand auf 0,9% der deutschen Stimmen kam.
Mit dieser Einheit ist es, wie von Pell prophezeit, vorbei.

Zumindest was die Causa Piratenpartei angeht sind die Meinungen gespaltener denn je. Grund dafür ist Bodo Thisen, der auf der Bundesparteitag am Wochenende zum Ersatzrichter gewählt wurde und dessen geschichtliches Verständnis für einiges Stirnrunzeln sorgt. So zweifelte Bodo Thiesen mehrmals die Geschichtsschreibung bezüglich Nazideutschland und dem Holocaust an, unter anderem mit der Aussage:

„Solange der Holocaust als gesetzlich vorgeschriebene Tatsache existiert, sehe ich keine Möglichkeit, diesen neutral zu beschreiben. Zur Erinnerung an vergangene Zeiten. Es gab auch mal andere Doktrinen, z. B. die „Tatsache“, dass die Erde eine Scheibe sei. Diese Doktrin unterscheidet sich von der Holocaust-Doktrin im wesentlichen durch folgende Punkte: 1.) Heute existiert diese Doktrin nicht mehr, daraus folgend konnte 2.) offen darüber diskutiert werden, und Nachforschungen angestellt werden, und daraus folgt 3.) dass festgestellt wurde, dass diese Doktrin schlicht falsch war.“

[Quelle, via]

Diese und andere Zitate sorgten für einen Sturm in Blogs und auf Twitter. Da wurde dann wortreich diskutiert, ob Holocaustleugnung von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Da schwangen sich viele auf, als Verfechter in Richtung „man müsse doch mal alles sagen dürfen“ und es wurde überlegt, wo hört Meinung auf und wo fängt Fakt an?
Johnny Häußler schrieb dazu recht abschliessend:

Wenn wir die Relativierung des Holocaust als Spinnerei ignorieren, lassen wir dann auch sexistische Äußerungen am Arbeitsplatz wieder zu und tun wir schwulenfeindliche Äußerungen als harmlos ab? Wenn uns egal ist, dass ein Politiker öffentlich Juden verhöhnt, zucken wir dann auch mit den Schultern, wenn ein Lehrer unseren Kindern begeistert von den seiner Meinung nach guten Taten Hitlers berichtet? Lassen wir es gesellschaftlich zu, wenn Tausende Fußball-Fans einem schwarzen Spieler ihre Meinung in Form von „Neger! Neger!“-Sprechchören mitteilen?

Besonders hitzig war aber der Punkt, wie eine Piratenpartei, die sich die Freiheit auf die schwarze Fahne gedruckt hat, mit einem solchen Mitglied umzugehen hat. Inzwischen hat sie mit einer Distanzierung reagiert, dennoch hält unter anderem F!XMBR seine negative Wahlempfehlung aufrecht.

Vergessen ist also die gemeinsame Stoßrichtung mit der die Netzgemeinde die etablierte Politik lehren wollte: „Ihr werdet euch noch wünschen,wir wären politikverdrossen.“ Zumindest die Piratenpartei hat unter den Netzanhängern als breit akzeptierte Wahlalternative einen ordentlichen Riss. Dabei sollte sich wohl jeder überlegen, als was er die Piratenpartei wählen wollte. In der Hoffnung, dass sie sich als die neuen Grünen in der Parteienlandschaft etablieren, oder als Schuss vor den Bug der anderen Parteien, um diese zu zwingen Netzpolitik auf die Agenda zu setzen.
Für letzteres taugt die Piratenpartei noch immer, für ersteres braucht sie noch viel Zeit.

Von Jannis Schakarian

Geboren als Jannis Kucharz studierte Jannis Schakarian, Publizisitk und Filmwissenschaft. Hat funk mit aufgebaut, Kolmnen bei der Allgemeinen Zeitung geschrieben und arbeitete als Formatentwickler, Leiter des Social Media Teams und der Distributionseinheit beim ZDF, dann bei SPIEGEL als CvD Audio.

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14 Antworten auf „Meuterei auf der Bounty“

tja..der ruf nach freiheit und der appell gegen zensur lockt natürlich auch solche gestalten hinterm verbrennungsofen hervor..den es aber ihrer meinung nach eh nie gegeben hat..schon eigentümlich den doch recht gut dokumentierten holocaust mit so etwas wie der „doktrin“ der scheibenförmigen erde zu vergleichen..(diese these war im übrigen schon seit dem 3 jhrd. v. chr. lang weitestgehend widerlegt..aber die mär davon hält sich beharrlich-http://de.wikipedia.org/wiki/Flache_Erde)…aber natürlich passt das alles ganz herrvoragend ins bild^^.. man kann der piratenpartei nur raten schnellstmöglich ein breites programm zu entwickeln das soclhe „wahrheitssucher“ dann auch hoffentlich wieder zu den organisationen treibt zu denen sie gehören.. und schönen gruss an jo conrad beim rausgehen ;)

Ich denke, die Debatte wird typischerweise an zwei verschiedenen Punkten falsch miteinander kombiniert. Auf der einen Seite ist die Kompetenz der Piratenpartei zu kritisieren, wenn sie es nicht schafft, sich um die Medienwirksamkeit zu kümmern und weiterhin mit einer solchen Boulevardgefährdung von Haus zu Haus geht. Auf der anderen Seite ist die Grundsatzdiskussion über die Meinungsfreiheit berechtigt, auch wenn Herr Häusler das nicht so sehen mag. Ich zitiere aus Voltaire:

„I disapprove of what you say, but I will defend to the death your right to say it.“

also bis zum tod dafür kämpfen das jemand sagen darf
„der holocaust muss diskutiert werden“
nein, ich denke nicht..vorallem.. wo ziehst du denn dann den schlussstrich?
überhaupt sollte sich da jetzt niemand in idealisierungen von freiheit ergehen.. ich meine voltaire..pff..kenn ich nich.. aber dieser satz ist doch wohl kaum realistisch oder praktikabel..soll man etwa dafür kämpfen das irgentwelche extremisten zum mord aufrufen?

ich weiss, ich weiss..überdramatisiert beyond recognition..
aber im grunde muss der punkt doch sein das eine meinungsfreiheit wie jede andere freiheit ihre grenze findet wenn jemand anders durch ihre ausübung verletzt wird.. und auch wenn herr thiesen sicher peinlich genau auf gesetzeskonforme formulierung geachtet hat.. ich wage mir selbst auszumalen wo so eine einstellung hinführt.. und da will ich ich sicher nicht an die vorderste front..

Ich denke nur, dass alles angezweifelt werden darf. Die Gesellschaft sollte auf andere Meinungen reagieren, indem sie aufklärt, lehrt, zustimmt oder ablehnt, aber nicht das Gedankengut eines Menschen als Verbrechen deklariert.

that`s getting us nowhere..
gewisses gedankengut ist für mich ein verbrechen..
aber wenn du mit aufklärung und lehrmeistern gut fährst..muss ich das akzeptieren.. weisst..ich kenn ne menge nazis..meine besten freunde sind welche.. und denen versuch ich schon seit jahrzehnten ihr weltbild grade zu biegen.. oder es zumindest etwas aufzuhellen..aber ab nem bestimmten alter bekommst du gewisse grundüberzeugungen aus nem menschen nicht mehr raus.. und trotzdem würde ich die jetzt nie verstossen oder so.. und es is mir auch lieber wenn sie ihre kaputten ansichten offen ausleben anstatt sich hinter PC-gerede zu verstecken.. ich arrangier mich halt ..solange ich meine meinung ebenso raushauen kann.. aber das is bei nem fremden natürlich auch schon wieder etwas völlig anderes weil mich mit dem eben nix verbindet ausser das bisschen was ich von ihm gehört habe..

ach ideal und realität sind einfach allzu oft so grundverschiedene dinge

mich würde ja mal interessieren was die piraten, gesetz dem fall das sie es irgentwann mal irgentwo zu einer regierungsbeteiligung schaffen sollten, noch von ihren einst ehrbaren zielen durchzusetzen vermögen^^
politik verändert die menschen…

[…] Auf Twitter zeigen sich einige enttäuscht, dass die Piraten erneut in die rechte Falle tappen. So bezeichneten zum Beispiel fukurama und sixtus die junge Partei damit als unwählbar und warnen vor den “Geistern die man hier ruft”. Erst im Juli gab es mit dem Mitglied Bodo Thiessen jemanden in den Reihen der Partei, der massiv den Holocaust anzweifelte und mit Aussagen glänzte wie “Hitler habe keinen Kireg gewollt”. Die Piraten leiteten darauf hin ein Parteiausschlussverfahren gegen Thiesen ein. Mehr zu diesem Vorfall hier. […]

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