Am Wochenende vibrierte es in den Micro-, Macro- und Sonstwo-Blogosphären: Am Montag wird der Spiegel das Internet auf den Titel gehoben. “Netz ohne Gesetz – Warum das Internet neue Regeln braucht”, so die Schlagzeile.
Und alle erwarteten feinstes CDU-Sprech. Doch dann kam der Montag und die Sphären waren verwirrt bis überrascht.
Überrascht, dass der Spiegel gar nicht so einseitig berichtet und versucht differnziert das Thema zu beleuchten. Thomas Knüwer weiß bis heute nicht, was ihm der Spiegel sagen will und fragt: “Häh?!”
Welcher Fehler wurde hier gemacht? Nun es wurde gedacht: Es geht ums Internet, d.h. um “uns”! Alle erwarteten, dass wieder geschrieben würde, wie schlecht und verdorben das doch alles sei und dort im Netz überall nur Müll geschrieben stehe. Die Blogosphäre begreift sich inzwischen als Stimme des Internets, bzw. als das Internet und übersieht dabei, was sie selbst anderen immer wieder vorhält: Das Internet ist viel größer und bietet unendliche Möglichkeiten
Der Abwehrreflex ist in soweit verständlich, als das das Internet für viele von uns ein Lebensraum geworden ist, unser alltäglicher Tummelplatz in dem soziale Interaktion, Privatleben und Beruf zu weiten Teilen stattfinden. Aber das Internet ist größer als das. Natürlich gibt es da die dunklen Ecken und es niemand würde diese verleugnen. Denn das Internet ist ein Abbild der Gesellschaft, mit all ihren Licht- und Schattenseiten. Das Besondere: macht die verschiedenen Elemente weltweit sichtbar. Das ist genau der Aspekt, denn wir alle uns täglich zu nutze machen. Wenn ich blogge, dann tue ich das mit der Aussicht ein Publikum nicht welt-, aber wenigstens Deutschlandweit erreichen zu können.
Das tun aber Andere ebenso. Hat ein Kinderschänder früher „nur“ den Nachbarsjungen missbraucht, kann er heute diesen Missbrauch weltweit teilen und sich mit anderen Pädokriminellen austauschen.
Dadurch werden eben auch Probleme sichtbar, die sonst unter dem Teppich blieben. Natürlich sind das keine Probleme des Internets, sondern der Gesellschaft, die hier sichtbar werden.
Die Blogosphäre muss aufhören sich mit dem Internet gleichzusetzen und immer sofort hier zu schreien wenn jemand das Wort Netz in den Mund nimmt. Damit diskreditiert sie sich im Endeffekt nur selbst.
Damit will ich keineswegs die Anti-Zensursula-Bewegung kritisieren, sie ist gut und sehr wichtig. Es ist sogar unsere Pflicht, als diejenigen die Ahnung von der Materien haben der Gesellschaft zu erklären, was hier in diesem WWW so vor sich geht und möglich ist und ebenso Fehlentwicklungen in der Poltiik, aber auch dem Netz selbst diesbezüglich anzuprangern. Dies geht aber nur in einem Dialog.
Und ein Dialog mit Vorurteilen ist nicht möglich. Dies zeigt sich nicht nur beim Spiegel, dessen Artikel-Aussagen vor Erscheinen vorweg genommen wurden, sondern auch bei dem Abendblatt Interview von Zensursula von der Leyen letzte Woche. Dort wurde, befeurt von dpa Meldungen und dem Meinungsführer in solchen Fragen die Aussage interpretiert mit: „Zensursula fordert Ausweitungen der Internetsperren“. Dabei gibt das Originalinterview dies nicht her. Darin sagt Ursula von der Leyen:
Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann. Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt. (Zum Interview)
Sie fordert lediglich Diskussionen. Genau die Diskussionen, die „intern“-et schon geführt werden. In der Causa Thiesen wurde massiv Anfang und Ende des Rechts auf Meinungsfreiheit diskutiert. Fragt man schnutinger, dann fühlt sie sich sicher gemobbt und zwar im Netz. Und als Cem Basman daraufhin daraufhin das Verhalten anspricht wird er nicht nieder gemacht, sondern gefeiert.
Die Problemem, die die Politik hier angesprochen hat, sind der Blogosphäre durchaus bekannt. Allein, das sich jemand von außen darin einschaltet wird nicht akzeptiert.
Denn nichts anderes hatte der Spiegel versucht. Er hat, tatsächlich erstaunlich differenziert, versucht die Probleme des Netzes aufzuzeigen und überlegt, wie man sie lösen kann. Das man dabei, spiegeluntypisch, nicht zu einer klaren Lösung kommt, zeigt nur, wie groß die Herausforderung ist.
Vielleicht ist es das, was Thomas Knüwer so verwirrt, dass selbst der Spiegel keine Lösung weiß. Es sollte uns aber nur klar machen, dass wir für jeden Anreiz von Aussen dankbar sein können. Wie können wir das Internet besser, schöner, sicherer und dabei nicht weniger frei machen? Wie die Regeln, die offline und online gelten, online durchzusetzen sind. Ideen dafür können von allen Seiten kommen. Ein Internetausweis für alle? Man sollte zumindest mal darüber sprechen dürfen.
Denn das Internet ist ein Abbild der Gesellschaft und geht uns damit alle an.
mehr…
P.S.: Um die eigene Abwehrhaltung gegenüber des Spiegels aufrecht zu erhalten, wird übrigens beständig auf dieses Youtube-Video verwiesen. Dort erklärt eine reichlich unwissende SpiegelpraktikantinRedakteurin recht verworren die Story. Legt nahe, dass weder sie die Praktikantin, noch die meisten Daraufverweiser den Artikel ganz gelesen haben. Verständlich er ist ja auch ganze 13 Seiten lang und nicht nur 140 Zeichen. Und es gibt ihn nur als Paid-Content auf ausgedrucktem Papier.
58 Antworten auf „Wir sind nicht das Internet“
Der Spiegel hat in der Tat differenziert berichtet, ja. Allerdings kreist die Fragestellung immer um die Reglementierung, also die Durchsetzung von Normen im Internet. Das sich im Internet selbst Normen konstitieren, wird nur am Rande erwähnt.
Dabei ist das doch der entscheidende Prozess, an dem die politische Klasse partizipieren kann.
Soll ich jetzt auf mein eigenes Blog-Posting dazu verlinken? Nee, ich mach's nicht… ;-)
Ich las den äußerst differenzierten Artikel vor einigen Minuten und war auch sichtlich überrascht, vor allem aber sehr angetan darüber, dass die breiten Seiten des Internets, die hier den wenigsten bekannt zu sein scheinen, angesprochen wurden. Wo der Berliner Politiker seine Mitte offline sieht, scheint ein Teil der Netzgemeinde online nicht über den Tellerrand blicken zu können. Diskussion miteinander fördert das alles nicht, aber vielleicht schauen beide Seiten mal in den Spiegel (der aus Glas) und überdenken ihr Verhalten. Zwischen Präventivparanoia zur Terrorbekämpfung und der Augenbinde für dokumentierten Kindesmissbrauch, glänzt auch die Netzwelt mit teils ignorantem Verhalten, belächelt die „Internetausdrucker“, agiert hauptsächlich da, wo sie sich gegenseitig eh alle recht geben, statt das Türchen aufzumachen und die Menschen da draußen ein wenig miteinzubeziehen. Lauter Aufschrei auf beiden Seiten. Denn hier ist nichts schlecht, nur da draußen. Und da draußen, finden sie alles da drinnen schlecht.
Letzlich zweifle ich stark daran, dass viele der Leute, die sich gerne mit Rechenzeichen und Hashtags wappnen, auch nur eine leise Ahnung vor den Vorgängen im Internet und außerhalb des Internets haben. Pseudoexperten gibt es on- und offline nämlich genügend.
Diesen hier: http://tinyurl.com/cluetrainprOnSpiegel ?
Ja, damit hast du recht. Desalb plädieren ich ja auch für einen Dialog, an den beide Seiten vorurteilsfrei herantreten. Es gibt Normen, die sich im netz gebildet haben, verbindlich oder durchsetzbar sind diese allerdings nicht.
Die Durchsetzbarkeit im transnationalen Raum würde auch bedeuten, dass die Normen von vielen Staaten geteilt werden – die Problematik, die sich daraus ergibt, hat der Spiegel ja sehr gut im Artikel ausgerollt.
Vielleicht ist Selbstregulierung doch nicht so unrealistisch – das Konzept des „naming and shaming“ wird von Organisationen wie Amnesty International oder Greenpreace recht erfolgreich eingesetzt.
Die Praktikantin ist übrigens Spiegel-Redakteurin. Es stimmt schon: Viele Reaktionen sind Reflex. Aber warum sollte man über einen Internetausweis nachdenken?
Ich habe auch nicht über Folter für Terrorverdächtige nachgedacht und ich denke auch nicht darüber nach, meiner Freundin einen Sensor ans Bein zu nageln, damit ich immer weiß, wo sie ist.
[…] Wir sind nicht das Internet! Mit anderen teilen: […]
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