Wer noch daran gezweifelt hat, dass Rap die neue Form der Lyrik ist, wird nun endgültig eines Besseren belehrt. Anständig Rezitiert entfalten die frauenfeindlichen, sexistischen und gewaltverherrlichenden Texte von Bushido, Sido, Kool Savas und B-Tight nämlich durchaus eine ganz neue Ebene, der man es zutrauen könnte, dass sie von Hellmuth Karasek oder Reich-Ranicki diskutiert würde. Ja, wer weiß, am Ende würde sich sogar ein Feuilletonist finden, der darin endlich eine neue Jugendkultur entdeckt, die schonungslos und offen benennt was sie umtreibt. Eine neue Hegemann eben… Aber, bevor ich mich ganz vergaloppieren, überzeugt euch selbst:
Jetzt ist es offiziell: Mit einer Mitteilung auf ihrer Homepage geben die Macher von Aggro Berlin das Ende des Labels bekannt. Nachdem erst am 27. März bekannt wurde, dass sich das Label von dem Künstler Fler getrennt hatte und sich in den letzten Tagen die Gerüchte häuften auch B-Tight habe die Plattenfirma verlassen, durfte so etwas erwartet werden.
Aggro Berlin hatte seit seiner Gründung 2001 das Geschehen in Rap-Deutschland bestimmt wie kein anderes und erst recht kein Indie-Label zu vor. Innerhalb kürzester Zeit schaffte es das Label nicht nur Künstler wie sido und Bushido zu etablieren, sondern eine gesamte Strömung mit zahlreichen Nachahmern im deutschen Rap zu prägen: Deutscher Gangster Rap war geboren und dominierte die Charts, allen voran das Berliner Label mit dem Sägeblatt.
Und es hagelte Diskussionen: Aggro Berlin verstand es durch gezielte Grenzverletzungen Aufmerksamkeit zu erzeugen. So bekam Fler mit seinem ersten Album „Neue Deutsche Welle“ das Image als stolzer Deutscher verpasst und Sido wurde in einem Video ans Kreuz genagelt.
Auf über 7 Indizierungen brachte es das Indie-Label mit seinen harten Texten, aber auch auf ebenso viele Goldene Schallplatten.
Aggro Berlin hatte zur richtigen Zeit einen Nerv getroffen und die Jugendlichen angesprochen, die einen Weg suchten gegen ihre Eltern zu rebellieren und auf sich Aufmerksam zumachen und sich so kurzer Hand zum Sprachrohr dieser Generation gemacht.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Aggro Berlin verlor schon zu Beginn den Rapper Bushido an ein Major-Label, die Verkaufszahlen gingen zurück, bevor sich das gesamte Label unter die Fittiche des großen Konzerns Universal Music stellte und damit seinen Independent Status verlor.
Was bleibt sind dennoch einige Klassiker und einen frischen Wind den Aggro Berlin dem deutschen Rap geliefert hat. Die Künstler, die noch bei Aggro Berlin verblieben sind, sollen wohl größtenteils bei Universal unterkommen und auch der Claim „Aggro Berlin“ könnte eventuell in anderer Form weiterleben, so heisst es zumindest am Ende der Mitteilung:
Die Plattenfirma schliesst, AGGRO BERLIN widmet sich mit altem Enthusiasmus neuen Aufgaben und Geschäftsbereichen.
P.S.: Fragen wirft das Datum auf, mit der die Mitteilung versehen ist, da steht nämlich † 01.04.2009, sollte das ganze doch nur ein verspäteter Aprilscherz sein? [via @pant3r]
Ab 19.00Uhr gibt es auf http://kingbushido.de das Video zu Bushidos neuer Single „Für immer jung“. Über diesen Song wurde ja vorher schon viel gredet, da er den Schlagerstar Karel Gott featured. Eine durchaus ungewöhnliche Kollaboration für einen Gangsterrapper. Aber der Song „Für immer jung“ ist auch aussergwöhnlich.
Den er handelt nicht von Problemen aus dem Ghetto, die nur die harten Gangster nachvollziehen können, von Drogen verticken oder Schlägererein. Sondern
von einem Problem, dem wir uns alle stellen müssen und einem uralten
Thema in der Lyrik.
Der eigenen Vergänglichkeit und der Vergänglichkeit der Eltern. Das weder sie noch wir „für immer jung“ bleiben.
Bushido wird auf diesem Lied endlich mal wieder persönlich und schafft es so
mich mal wieder zu faszinieren und mitfühlen zu lassen. Er lässt einen seine eigene Betroffenheit durch die Krankheit seiner Eltern spüren und schafft es einen in die Kindheit zurück zu versetzen. Und Karel Gott nimmt die Position des Alten ein. Der auch die Moral singt:
Genieße dein Leben und jeden Moment, denn schließlich bist du nicht „für immer jung“.
Ich finde den Song großartig, den er sorgt dafür, dass ich mich nicht länger schämen muss, zu sagen: „Ich habe dereinst die größte Bushido-Fanpage ins Leben gerufen.“
P.S.: Gespannt bin ich ja was diese Zusammenarbeit kommerziell für Auswirkungen hat, ob Bushido es schafft mit Karel Gotts auch andere Schichten zu erreichen und ob er zum Beispiel auch mehr Radioairplay bekommt.
UPDATE: Also ich muss schon sagen, dass Video ist eines der schönsten Mercedes Werbespots seit langem. Das dürfte sich kommerziell ja schon mal gelohnt haben.