Selbst ein politisch seit 55 Jahren unabhängiges Fachmagazin für Personen in geschlechtsreifendem Alter kann die Zeichen der Zeit nicht mehr ignorieren: Die Bravo fügt ihrer Ausgabe ein Anti-Atomkraft-Poster bei. Die Begründung dazu ist schlüssig, schließlich erreicht diese Zeitschrift eher die bis in weiter Zukunft betroffenen Generationen. Soweit diese zukünftigen Erdenbürger überhaupt schon lesen können oder geboren sind.
Andere Magazine widmen sich dem Thema eher wissenschaftlich, wobei die Gefahr hoch ist, dass man Dinge unreflektiert in die eigene Meinung übernimmt. Schließlich muss das ja ein kluger Kopf sein, dieser Experte, der da schreibt.
Wenn man dann in der aktuellen Lage auf das Interview von Barry Brook, australischer Klimaforscher und Nuklearexperte, verwiesen wird, muss man es mindestens zweimal lesen, um zu verstehen, dass seine Aussagen wirklich nicht zynisch gemeint sind. Hauptthese und Überschrift des Artikels „Deutschland muss mehr Atomkraftwerke bauen“ würde ich, ohne den Inhalt zu kennen, eher vom Titanic-Magazin erwarten. Doch es wird noch besser:
„Trotzdem haben die Kraftwerke bisher kein einziges Menschenleben gefordert. (…) Wie gesagt, der Bevölkerung droht zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Gefahr – abgesehen vom der Zusammenbruch ihrer Stromversorgung.“
Sollten in 9 Monaten vermehrt verkrüppelte Kinder in Japan geboren werden, kann auch kein Kausalzusammenhang zu einer (im übrigen bestrittenen) längst vergangenen Störung in einem AKW hergestellt werden.
„Allein die Null-Risiko-Windkraft kostet jedes Jahr Menschenleben, weil Arbeiter bei der Wartung abstürzen.“
AKW’s werden nämlich nicht gewartet. Arbeitsunfälle sind nur für regenerative Energien typisch.
„Japan hatte über Jahrzehnte eine sichere, emissionsfreie Versorgung. Das Land sollte die Vorteile nicht wegen eines Jahrtausendereignisses opfern.“
Erdbeben und Tsunamis sind Ereignisse, die erst seit kurzem bekannt sind. Beides in Kombination wurde erst vor ein paar Jahren im pazifischen Raum erfunden. Und außerdem werden die Folgen des jetzigen Ereignisses ja noch tausende Jahre anhalten. Ein Neues wäre also vollkommen uneffizient und deshalb abzulehnen.
„Moment, der Schaden in Japan ist nicht im geringsten vergleichbar mit Tschernobyl. Die Ursache von Fukushima war auch kein menschliches Versagen. Ganz anders Tschernobyl, dessen Reaktor schlecht designt und schlampig gewartet war.“
Daraus lässt sich auch nicht folgern, dass der technische Fortschritt den Risiken der Atomkraft einfach (noch immer) nicht gewachsen ist.
Danach sind die Fragen so gut, dass es echt keinen Spaß macht, die zu kommentieren. An diesem Punkt war ich vom Interview enttäuscht.
Brook macht dann jedoch Vorschläge für sichere AKWs:
„Mit modernen Technologie („fast reactor technolgy“) wird der Brennstoff kontinuierlich recycelt. So lässt sich Uran und Plutonium viel effizienter nutzen, infolgedessen sinkt die Strahlung der Abfälle rapide. Abfälle aus „fast reactors“ müssen nicht 100.000 Jahre lagern, sondern 300. Dann strahlen sie nicht mehr als ein Felsbrocken.“
Die von Brook favorisierte Variante der Reaktoren wird mit Natrium gekühlt. Dieses reaktionsfreudige Element ist vollkommen ungefährlich. Genau wie Atomkraft bekanntlich im Allgemeinen. Beides in Verbindung beruhigt mich zutiefst, da unvorhergesehene/unvorhersehbare Ereignisse praktisch ausgeschlossen sind.
Da Physik aber, ähnlich wie Stuttgart21 ein Thema ist, von dem ich keine Ahnung habe, musste ich mich mühsam mit der radioaktiven Materie befassen. Das dürften wohl die Wenigsten derjenigen getan haben, die solche zukünftigen Reaktoren für Deutschland fordern.
Die Problematik mit den Argumenten der Atomkraftbefürworter liegt im Übrigen in sich selbst, wie die „Zeit“ deutlich aufzeigt.
Da der Super-GAU nur mit sich selbst vergleichbar ist, würde ich diesen Vergleich in der Praxis lieber scheuen und mich nicht auf Erfahrungswerte einlassen wollen. Sowohl mir als auch den Sympathisanten würden im Fall des Falles die Stimme versagen.
Den „neun Gemeinplätzen des Atomfreunds“ widmet sich auch abschließend die FAZ noch einmal selbst und Frank Schirrmacher entkräftet dabei auf sympathische Art und Weise die Argumentation des „eigenen“ Experten.
Das größte Problem an der Sache ist, dass auch die regenerativen Energien schlechten Einfluss auf die Umwelt haben, das kann nicht so ganz bestritten werden. Vielleicht ist in 55 Jahren ja auch wieder ein Poster in der Bravo: Windkraft, nein Danke!
Bild: Bestimmte Rechte vorbehalten von MarcelG
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