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Macht Netflix den Serien-Konsum internationaler?

Achtung! Es wird jetzt gleich ein bisschen politisch – und das ist noch lange kein Grund, damit aufzuhören, diesen Text zu lesen. Politik soll jetzt bitte kein Trigger sein, der dazu führt, dass Ihr abbrecht. Einerseits ist Politik alles andere als langweilig, und andererseits geht es gleich mit Aliens aus Japan weiter, mit einem Superhelden aus der Türkei und einem südafrikanischen Polizisten, der keine Schmerzen mehr spürt.

Wir reisen zurück ins Jahr 1995. Der Politikwissenschaftler Benjamin Barber veröffentlichte sein Buch „Jihad vs. McWorld“, in dem es darum ging, dass (so beschreibt der Tages-Anzeiger das Werk kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001) „es eine sehr enge Beziehung gibt zwischen den reaktionären Kräften des Islam und den Kräften von Modernität und Technologie. Jihand, die Ideologie des Heiligen Krieges im radikalen Islam, hat die Kräfte von McWorld benutzt, um McWorld zu zerstören“.

Was, verdammt, ist aus dieser kleinen, feinen Streamingkolumne geworden? Was macht dieser Professor für Zivilgesellschaft auf einmal hier?

Fersehen geprägt von den USA – oder eine Portion McWorld, bitte!

MacGyver Baywatch A-Team streamen

Ich finde es schön, dass Ihr noch hier seid. Und vergessen wir mal schnell den Jihad, sondern betrachten McWorld. Damit meint Barber nämlich vor allen Dingen die USA. Und Geduld! Der Zusammenhang wird gleich klar. Wirklich.

„McWorld ist das Produkt einer vom expansionistischen Kommerz hervorgetriebenen Massenkultur“, schreibt er. „Die Schablone ist amerikanisch. Die Waren sind sowohl Gegenstände wie Ikonen, ebenso ästhetische Kennmarken wie Markenerzeugnisse. Es geht um Kultur als Ware, um Accessoires als ideologische Versatzstücke.“

Wir nähern uns dem Punkt, der für dieses kleine Kolümchen wichtig wird. An anderer Stelle schreibt der Politikwissenschafter nämlich: „Wie andere Bestandteile der Kultur von McWorld werden Filme und Videos um so einheitlicher, je globaler sie verliehen werden.“ Mehr und mehr Menschen rings um den Globus würden sich Filme ansehen, die immer geringere Abwechslung böten. „Nirgends ist die amerikanische Monokultur offensichtlicher oder gefürchteter als in Filmen und Videos“.

Serien streamen von außerhalb der USA: Wo man Exoten geboten bekommt

Damals, vor einem guten Vierteljahrhundert, war das wohl so. Man zappte sich, egal, wo man sich aufhielt, durch das Fernsehprogramm und sah amerikanischen Kram. MacGyver, das A-Team, Baywatch. Sowas. Und egal, ob man in Schweden in einem Hotelzimmer lag, in Argentinien, Australien, Spanien oder Italien. McWorld breitete sich aus.

Und jetzt?

Jetzt kommen wir, jaja, endlich zu dem, was diese Kolumne ausmacht – nämlich zum Kuratieren von Popkulturgütern aus der großen, weiten Welt der Streamingdienste.

Amazon Prime wie auch Netflix produzieren nämlich nicht nur McWorldiges, sondern auch für regionalere Märkte – und das kann (je nachdem, wie weit man sich von seinen eigenen Sehgewohnheiten entfernt) sehr seltsam rüberkommen. Deshalb möchte ich jetzt nicht Erfolgsserien wie das spanische „Haus des Geldes“ erwähnen, schwedische Serien wie die jüngst erschienene Coming-of-Age-Schulmassaker-Thrillerserie „Quicksand“ oder diverse japanische Animes.

Ich suche nach den Exoten. Es folgt: eine subjektive Auswahl nicht-amerikanischer und nicht zu europäischer Serien inklusive der Minuten, die ich in diesen merkwürdigen Medienmysterien verbracht habe.

Beim Japanische-Serien-Streamen stinkt’s!

Man nehme die japanische Serie „Businessmen vs. Aliens“. Ich habe die erste Folge 9 Minuten und 16 Sekunden ausgehalten. Der Humor ist, sagen wir, leicht pubertär, so wie auch manche Mangas und Animes eher albern sind. Nachdem die Menschen, die gegen die Außerirdischen ausgewählt worden sind, darüber aufgeklärt worden, dass sie für die Aliens einfach sehr, sehr widerwärtig müffeln, und sie deshalb gegen sie kämpfen sollen, stellte ich die Serie aus.

Und es war mehr als Overacting dabei. Over the top.

Ein anderes Humorverständnis.

Ganz ähnlich erging es mir bei der südkoreanischen Serie „Man to Man“, deren Pilotfolge ich nicht bis zum Ende ausgehalten habe (immerhin habe ich aber knapp 50 Minuten von 66 Minuten ausgehalten).

https://www.youtube.com/watch?v=9zBNP3fXu0I

Ein Scharfschütze wird für einen Auftrag rekrutiert, und was eine knallharte Actiondramaserie hätte werden können, ist eine Actiondramaserie mit hohem Albernheitsfaktor geworden. Ja, selbst für meine Sehgewohnheiten war das ganz schön albern.

Poledancing und Plottwists

Genauso erging es mir bei der ebenfalls südkoreanische Spielshow „Busted“ auf Netflix, in der mir nicht bekannte K-Pop-Stars in fiktiven Rollen irgendwelche Aufgaben lösen müssen á la „Fort Boyard“ (die Älteren unter uns werden sich an das Original erinnern, die Jüngeren werden die Neuauflage auf Sat 1 aus dem Jahr 2018 sicherlich nicht gesehen haben).

Ich habe mir immerhin die erste von zehn ungefähr 90-minütigen Folgen vollständig angetan – vielleicht auf Grund des hohen Skurriliätslevels. Die Teilnehmer müssen einen Mordfall lösen, dürfen nicht aus ihren Rollen fallen und müssen gleichzeitg Hindernisparcours überstehen, Poledancing praktizieren, sich aus einem Escape Room befreien und vor allen Dingen: Die Plottwists mitspielen, die sich die Autoren ausgedacht haben.

Auf die südafrikanische Serie „Shadow Khumalo“ hatte ich mich sehr gefreut, als ich den Trailer gesehen hatte.

Der Protagonist der Serie ist als Kind von einem Blitz getroffen worden und spürt deshalb keine Schmerzen mehr. Als Polizist kann das von Vorteil sein.

Was es bei „Shadow Khumalo“ gibt: Große tarantinoeske Wummen, Action – und: ein Zeitgeist, den man aus den frühen neunziger Jahren kennt.

Gesehen habe ich die erste Folge rund 17 Minuten. Gestört hat mich der flache, pubertäre Humor: Zum Beispiel nahm eine Frau einen Bekannten dabei auf, wie er sich in ihrer Wohnung unbeobachtet fühlte und ihre Kleider anzog, ihren Büstenhalter, ihren Tanga, ihre Schuhe und durch die Wohnung tänzelte. Hm.

Die Frage, die ich mir dabei stellte, war: Warum?

Brasilianische Serie: Ein besseres Leben

Gut fand ich die brasilianische Netflix-Serie „3 %“, von der ich die komplette erste Staffel angeschaut und mich dabei sehr unterhalten gefühlt hatte.

Drei Prozent der Bevölkerung können mit einem Auswahlverfahren aus der Armut fliehen und ein besseres Leben erhalten – technisch fortgeschritten, im Reichtum schwelgend, bis an ihr Lebensende. Dystopisch und sehr, sehr spannend! Ich freue mich auf die zweite Staffel, die es schon seit Längerem auf Netflix gibt.

Nett war auch die türkische Serie „The Protector“ – eine Superheldenserie, die in Istanbul spielt.

Hakan wird zum „Protector“, der (wie sollte es auch anders sein?) die Welt vor diversem Übel retten muss. An einer Stelle in der Staffel wird ausgiebig ein Sportwagen als etwas verdammt Geiles präsentiert. Da zeigt sich dann vielleicht doch der Kulturunterschied?

Pop, Politik und Penunsen

Aber es geht auch andersrum: Die deutsche Netflix-Serie „Dark“ soll in den USA sehr gut gelaufen sein und gute Kritiken bekommen haben. Infiltriert die deutsche Gaststättenwelt jetzt McWorld?

Also: Die Streaminganbieter produzieren Serien für die einzelnen, regionalen Märkte. Es gibt italienische Serien, polnische Serien („1983“ ist übrigens sehr, sehr lahm meines Erachtens), dänische Serien und so weiter und so weiter. Heißt das, dass es McWorld nicht mehr in Benjamin Barbers Sinne gibt, sprich: dass die USA mit ihren Serien global und penetrant die amerikanische Kultur verbreiten?

Auf der einen Seite überwiegen US-Serien natürlich noch immer. Und auf der anderen Seite geht es doch überhaupt nicht um Politik. Auch damals ging es hauptsächlich um Pop und Penunsen. Geld! So einfach ist das. Und um in den einzelnen Ländern möglichst viele Abonnenten anzuwerben, um möglichst viel Geld zu verdienen, bedienen die Streamingdienste die regionalen Sehgewohnheiten. Die dann aber auch weltweit abgerufen und in etlichen Ländern angeschaut werden können. Teilweise mit Untertiteln, teilweise synchronisiert.

Und was lernen wir aus alldem?

Wir lernen, dass dem Kapitalismus noch immer der Profit am wichtigsten ist, egal wie vermeintlich wohlwollend viel Geld er in regionale Märkte steckt. Und das muss reichen für einen Wissensgewinn, den eine kleine Kolumne wie es diese hier ist bieten kann. So.

In der nächsten Folge von „Der Kurator“:
ALLES ALLTAG! ODER NICHT?

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Von Till Frommann

Till Frommann studierte Philosophie, Politik und Soziologie. Schund und Schönes schaute er und schrieb für verschiedene Tageszeitungen und Onlineangebote Fernsehkritiken und Hintergrundberichte über Medien. Er volontierte bei der Verlagsgruppe Rhein Main und machte Social-Media-Kram – unter anderem beim ZDF.

6 Antworten auf „Macht Netflix den Serien-Konsum internationaler?“

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