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Prüfungen, Joints & Tränen

Inzwischen sind ist der Großteil der Prüfungen vorbei und damit können die Bachelor-Studenten wieder etwas durchatmen. Denn während der Klausurenphase stehen die Studenten unter einem extremen Druck, innerhalb weniger Wochen müssen viele Klausuren geschrieben werden. Diese erfordern selten eigenes Denken, sondern vor allem gutes Auswendiglernen. Ein Bericht.

Die Tränen laufen ihre Wangen herunter. Wie soll sie das nur schaffen? Sie hat nur noch vier Tage, um sich den gesamten Stoff von vier Veranstaltungen der letzten zwei Semester einzutrichtern. Lena* ist Bachelorstudentin. Genau wie ihr Freund, der hat heute Mittag schon seinen ersten Wodka getrunken. „Ich halte das sonst nicht durch“, sagt er und meint die Klausurenphase. Sein Mitbewohner raucht jetzt jeden Abend drei Joints, um einschlafen zu können. Er hat Angst, seinen Nebenjob bei einem renommierten Marktforschungsinstitut zu verlieren, weil er vor lauter Lernen diesen Monat die erforderlichen Stunden nicht erbringen kann.

Bachelor Studenten im Hörsaal
Bachelor Studenten im Hörsaal. // Unter CC BY-ND 2.0 bei Karola Rieger

Die Nerven in der WG liegen blank

Auch Lena geht zweimal die Woche vor der Uni arbeiten, ihre Eltern können ihr nicht genügend Geld geben, damit es zum Leben reicht. Wenigstens hat sie das Glück, in einem Bundesland ohne Studiengebühren zu wohnen, sonst müsste sie noch mehr arbeiten. Dafür ist eigentlich keine Zeit, schließlich ist der Bachelorstudiengang als 40-Stunden-Woche konzipiert, mit sechs Wochen Urlaub im Jahr. Die Semesterferien sind schon lange keine mehr, sie nennen sich nicht umsonst „vorlesungsfreie Zeit“. Da werden dann Klausuren reingeschoben, es sind Hausarbeiten zu schreiben und Praktika zu absolvieren.

Während der Klausurenphase ist der Stress besonders hoch. Die Nerven in der WG liegen blank, schließlich zählen alle Arbeiten bereits für die Abschlussnote. Auch sonst haben die Noten einen hohen Stellenwert: Wer zum Beispiel mit dem ERASMUS-Programm ein Auslandssemester belegen will, muss Bestnoten vorlegen, denn nur diese zählen im Auswahlverfahren. In das Motivationsschreiben wird nur im Ausnahmefall mal hineingeschaut.

Echtes Wissen und Verstehen ist dabei kaum gefragt, sondern vor allem Auswendiggelerntes. Das macht auch eine Professorin recht deutlich, wenn sie andeutet, dass man mit logisch hergeleiteten Antworten in der Klausur nicht punktet, sie will das Lesen was auf ihren Folien stand.

Burnout schon nach sechs Semestern

Unter den Studierenden hat sich der Begriff „Bulimielernen“ eingebürgert: Man stopft sich bis zur Klausur möglichst alles Wissen rein, um es danach wieder auszukotzen, damit Platz ist für die nächste. Dabei sind es dieses Semester sogar weniger Klausuren, im letzten mussten innerhalb weniger Wochen 11 Prüfungsleistungen abgelegt werden. Auch dem sonst immer so motivierten Kommilitonen fehlt da der Antrieb: „Mit macht einfach nichts mehr Spaß“, sagt er. Egal ob es darum geht sich für das Studium zu motivieren oder seine Freizeit zu gestalten: Antriebslosigkeit, ein Symptom von Burnout. Er hatte sich vorgestellt, mehr in die Dinge einzutauchen, die ihn interessieren, aber das durchstrukturierte Studium lässt es kaum zu, eigene Präferenzen zu setzen.

Im letzen Jahr hatten die Studenten mit zahlreichen Streikaktionen auf ihre Lage auf ihre Studiensituation aufmerksamgemacht. Tausende gingen während der Bildungssreikwoche im Juni auf die Straße, und im Winter waren über 80 Hörsäle in ganz Europa waren besetzt. Inzwischen wurden Nachbesserungen an dem kritisierten Bachelorstudiengang versprochen. Aber von diesen Reformen werden Lena & Co. wahrscheinlich nichts mehr haben. Denn bis die  Verbesserungen der Reformen umgesetzt werden, sind sie mit ihrem Bachelorstudium durch.

(*Name geändert)

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Bachelor: Keine Zeit für Bildungsstreik

Auch unsere Uni brennt; seit 3 Wochen ist jetzt das Auditorium Maximum von Studenten besetzt. Inzwischen vom Uni-Präsidenten toleriert, harren dort Tag und Nacht einige tapfere Studenten aus. Nach meinem Eindruck sind das allerdings selten die geschundenen Bachelor die dort gegen ihre Studienbedingungen aufstehen. Die haben für so etwas nämlich gar keine Zeit.

Schließlich haben sie in den meisten Veranstaltungen Anwesenheitspflicht und wer dort mehr als 2 mal fehlt, egal ob entschuldigt oder nicht, hat die Veranstaltung nicht bestanden. Nachholen kann er sie meist nicht mal im nächsten Semester, da die Veranstaltungen nicht jedes Semester angeboten werden und wenn er noch mehr Pech hat kann er auch die anderen Veranstaltungen nicht besuchen, da diese auf dem Modul aufbauen, dass er oder sie dann nicht bestanden hat. So hat man ruckzuck ein Semester mehr auf dem Studienkonto und glaubt man den Studienberatern ist das Gift für den Lebenslauf.

Man könnte den Bachelor ja vorschlagen in ihren Freistunden für ihre Rechte einzutreten, aber auch da sieht es mau aus: Konnte ein Magister oft noch mit 10-12 Wochenstunden durch das Semester schlendern (vieles davon als Sitzschein deklariert) kommen die Bachelor locker auf das doppelte Pensum von 24-26 Semesterwochenstunden. Dazu werden alle Veranstaltungen auch noch in irgendeiner Weise abgeprüft, sei es Referat, Hausarbeit oder Klausur und sind wie oben erwähnt auch meist Anwesenheitpflichtig. Vor- und Nachbereitung sind da noch nicht eingerechnet.

Besetztes Audimax an der Uni Mainz

Für Proteste oder studentisches Engagement ist auch gar keine Zeit eingeplant, denn die Bachelorstudiengänge sind allesamt als Vollzeitjob kalkuliert. Schuld daran sind die so genannten ECTS-Credits die für eine bessere internationale Vergleichbarkeit sorgen sollten. In einem Studienjahr muss ein Student im Regelfall 60 solcher „Credit-Points“ sammeln, in der Konzeption steht jeder davon für 25-30 Stunden Arbeit, dass macht einen Arbeitsaufwand 1.500-1.800 Stunden im Jahr, bzw. eine 40 Stundenwoche bei 6 Wochen Urlaub. Ein Fulltimejob. Wann Studenten da noch Zeit haben sollen ihren Lebenunterhalt mit einem Nebenjob zu verdienen,oder schlimmer noch in CDU-Länder das Geld für die Studiengebühren aufbringen sollen, bleibt vollkommen unbeantwortet. Angesichts solcher Sorgen noch gegen die Studienbedingungen und für mehr Mitbestimmung auf die Straße zu gehen…

Höre ich mich unter meinen Kommilitonen um, begegnet mir aber ab und zu auch ein anderer Grund den Protesten gegenüber skeptisch zu sein: Angst, dass sich tatsächlich was ändern könnte. „Was, wenn die Bachelorreform zurück genommen wird? Wenn sie alles umschmeissen?“

Die Bachelorstudenten leben mit der Angst, ihren Versuchskaninchenstatus ihr Leben lang nicht mehr loszuwerden. Sie fürchten, dass der Bachelorabschluss, dessen Akzeptanz schon jetzt absolut unsicher ist, noch weiter Schaden nehmen könnte und sie auf ewig gebrandmarkt bleiben als eine Studentengeneration, an der man ziellos herumgedoktort hat, die dann mangelhaft ausgebildet auf den Arbeitsmarkt losgelassen und dort nicht angenommen werden.

Mehr Informationen zu den Studentenstreiks findet man vor allem über Twitter unter den Hastahgs #unibrennt, #unsereuni und #bildungsstreik.

Foto unter CC von knicolai