Ich habe über meine nächste Kolumne nachgedacht, wollte etwas schreiben über das Verhältniss von HipHop in Deutschland und den Usa, über den Wertewandel im deutschen Rapgeschäft, weg von Skillz hinzu Vermarktung und Verkauf. Und dachte an 50 Cent, der es in erster Linie mit seiner credibilen Geschichte von 9 Schusswunden schaffte über 6,5 Millionen Kopien seines Debütalbums „Get Rich or die Tryin’“ abzusetzen und wann, oder ob so etwas auch in Deutschland möglich wäre. All diese Gedanken bewegten sich irgendwo in meinem Unterbewusstsein, als ich die hiphop.de-Startseite aufrief und mein Blick über die „New Blog Entries“ wanderte.
Neuer Massiv Track mit G-Unit Rapper Young Hot Rod [DOWNLOAD] + Massiv wurde angeschossen? [NEWS]
Schnell verdichteten sich die ersten Gerüchte und der Vorfall wurde von verschiedenen Seiten bestätigt. Von allen Seiten kamen Besserungswünsche, Solidaritätsbekundungen Joe Rilla nahm sogar einen Track für Massiv auf. Spiegel Online berichtete, RTL exklusiv und HipHop zeigte sich mal wieder im Licht der Öffentlichkeit, so wie die Öffentlichkeit es sehen will.
Doch etwas trübte das Beileid. Morgen erscheint Massivs neue Single „Weißt du wie es ist“. Die Videorotation schwächelt, die Single Vorverkäufe würde sich Sony/BMG sich auch höher wünschen und das Ansehen in der Szene?
Die Meinungen gehen weit auseinander. Einige freuen sich endlich einen echten Gangster gefunden zu haben, der von der Straße erzählt, der sie versteht und repräsentiert.
Andere können im nichts abgewinnen. Keine Skillz, flache Texte, dünne Reime. Ein Zuzug nach Berlin aus rein marketingtechnischen Gründen. Der frühe Einkauf eines Majors für 250.000 €. Verschiedene Vorfälle, bei denen immer wieder das Wort Promoaktion auftauchte. Schlägerei beim Konzert, Beef-Geschichten, Polizeirazzia beim Videodreh…
Doch würde sich jemand für Promotion wirklich anschießen lassen? Sein Leben riskieren?
Dazu muss man ein wenig in Massivs Leben wühlen.
Wasiem Taha, wie Massiv mit bürgerlichen Namen heißt wurde bekanntlich in Pirmasens geboren als Sohn von libanesischen Eltern. Seine Biografie klingt wie ein Musterbeispiel für viele Einwandererkinder und für potentielle Gangsterrapper. 2. Generation, Probleme mit der Integration, der Traum vom schnellen Geld um endlich etwas in dieser Gesellschaft zu gelten, in der man nirgendwo richtig dazu gehört und überall mit Vorurteilen begegnet. Und Massiv gibt sich auf dem Weg zu seinem Traum alle Mühe diese zu bestätigen. Er wird gewalttätig, hat Schlägereien, landet im Jugendarrest und verkauft Drogen. Er will das Geld. Er will nach oben, seinen Eltern helfen, sie rausholen aus ihrem bisherigen kleinen Leben. Er ist aufgewachsen mit dem Bild vom Vater, der sich in Deutschland etwas aufgebaut hat. Massiv will das fortführen, will noch mehr erreichen, will seine Familie weiter nach Oben führen auf der Gesellschaftsleiter. Doch anfangs geht ihm das zu langsam, er will das schnelle Geld, will schnell das Ansehen. Bis er mit einem Bein im Knast steht. Und dann lässt sein Lebenslauf eine „anständige“ Karriere nicht mehr zu. Eine Zwickmühle. Wird er noch mal mit Drogen oder ähnlichem erwischt kann er seiner Familie gar nicht mehr helfen.
Der Traum ist zerplatzt.
Doch Massiv ist der, „der die Träume bewahrt“ und Massiv hört von einem neuen Trend, ein paar andere Unterschichten Kids haben es nach oben geschafft. Sie verdienen viel, haben ein ähnliches Schicksal wie er und sind Rapper. Da steckt Geld drin.
Als Rapper haben sie sich ein intensives Gangsterimage aufgebaut, das ihnen beim Absatz von Platten hilft. Massiv entdeckt parallelen, sieht seine letzte Chance darin. Da ist er wieder der Traum vom schnellen Geld, er kann doch noch wahr werden. Massiv ist besessen von dem Gedanken, dass dies sein Schicksal ist. Er geht zu seiner Familie und schlägt ihnen einen Umzug nach Berlin vor. Er erklärt ihnen, dass er es dort zu etwas bringen kann, verspricht ihnen, dass er für sie sorgen kann. Besser als sein Vater es mit seinem einfach Job kann. Er bringt nach einigen Diskussionen seine Familie dazu sämtliche Zelte in Pirmasens abzubrechen. Alle Freunde, Kontakte, das ganze mühsam aufgebaute Leben hinter sich zu lassen. Für einen Traum. Den Traum vom schnellen Geld.
In Berlin stellt sich Massiv geschickt an, das Schicksal scheint auf seiner Seite. Er findet in Wedding schnell Anschluss. Sein „Ghettolied“ wird zu einer Untergrund Hymne. Er bekommt einen Hype in der Szene. Er tritt als der nächste konsequente Schritt in der aktuellen Gangsterrap Entwicklung auf. Labels interessieren sich für ihn und durch sein bisheriges Schicksal auch HipHop-ferne Medien. Er bekommt ein Spiegel Porträt. Und dann kommt da dieser Riese. Sony/BMG. 250.000 €. Der Traum eines jeden Rappers. Der Major-Deal. Die Chance nach Oben, ganz nach Oben. Massiv unterschreibt. Das Re-Release seines Debütalbums „Blut gegen Blut“ steigt auf Platz 55 der deutschen Charts ein. Mit massiver Unterstützung von Deutschlands Top-Producer Dj Desue, den Sony/BMG an Land gezogen hat und begleitet von einem relativ großen Medienrummel.
Doch ist das 250.000 Euro wert?
Die Kollegen sido und Bushido besetzen mit ihren Singles regelmäßig die Top 10, fahren Gold- und Platinstatus ein. Auch die Singles sind mindestens Top 20.
Dahin muss Massiv auch. Sein „großes“ Album darf auf keinen Fall floppen. Dahin muss alle Anstrengung gelenkt werden, denn das ist seine Chance, seine letzte.
Er hat es doch seiner Familie versprochen.
Nach Angaben der Polizei wurde auf Massivs Homepage schon von dem Vorfall berichtet, als sich der Rappper noch auf dem Weg ins Krankenhaus befand.
Get Rich or Die Tryin’
Egal ob Promo oder nicht. Im Endeffekt ist Massiv und der Vorfall nur der konsequente nächste Schritt in der Entwicklung. Es wurde nach mehr Credibilität geschrieen, nach „echten“ Gangstern. Die Probleme wurde herab gespielt oder absichtlich übersehen. „So etwas gibt es in Deutschland nicht“. Natürlich kann man die Verantwortung an die Politik übergeben, die es versäumt hat hier etwas zu tun und versucht hat, mit Verboten und Indizierungen der Thematik Herr zu werden. Die Jugendliche lieber wegsperren und abschieben, als sich ernsthaft mit ihren Problemen beschäftigen und Wege für sie suchen will, ihnen Chancen zu bieten.
Doch die Verantwortung liegt auch – und da muss ich meinem Mann Ello absolut Recht geben – bei uns. Wir entscheiden was wir wollen. Wollen wir Entertainment? Wollen wir ein Stück Lebensgefühl? Wollen wir den Traum vom schnellen Geld? Wollen wir Tote? Wollen wir Amerika? Das Motto dafür haben wir ja schon.