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Dystopie: Wenn „Gehorche“ schon auf unseren T-Shirts steht

Es ist eigentlich schon ein Klischee, Kolumnen über Überwachung stets mit George Orwells „1984“ zu belegen. Aber so spart man es sich, einzelne wissenschaftliche Belege herauszukramen, die besagen, dass Menschen unter Überwachung eindeutig ihr Verhalten ändern. Stattdessen kann man mit dem Rückgriff auf die Fiktion gleich ein breites gesellschaftliches Szenario zeichnen, zu dem einzelne inkremententale Entwicklungen beitragen.

Abkürzung in den Totalitarismus

Gleichzeitig bieten sie fast schon eine Art Checkliste, um das eigene System mit der fiktiven, totalitären Dystopie abzugleichen.

Im Film „Sie leben“ von John Carpenter entdeckt der Protagonist durch eine spezielle Brille, dass die Gesellschaft mit unterschwelligen Botschaften, wie „Obey, Reproduce, Consume“ (Gehorchen, Reproduzieren, Konsumieren.) gesteuert wird. Heute gilt es tatsächlich als besonders schick mit Kappen und T-Shirts der Marke Obey herumzulaufen. Welche Marken die Botschaften Reproduce und Consume abdecken, kann sicher jeder selbst interpretieren.

Dreister Neusprech: Von Vorratsdatenspeicherung zur Höchstspeicherfrist

In „1984“ hat Orwell das Ministerium für Wahrheit erfunden, das mit dem „Neusprech“ neue Sprachregelungen findet, um die eigene Ideologie zu verkaufen. Es gibt wohl kaum ein passenderes Schlagwort für das was mit der Vorratsdatenspeicherung geschieht: Nach einer Kehrtwende seines eigenen Gewissens präsentiert Justizminister Heiko Maas uns einen neuen Entwurf für die Vorratsdatenspeicherung unter dem Titel „Höchstspeicherfrist“. Der deutsche Linguist Martin Haase hat 2008 bereits die Rolle des „Neusprech im Überwachungsstaat“ analysiert und wie solche Wortschöpfungen dazu dienen sollen Zustimmung für Gesetzesvorhaben zu formen.

Dennoch kommt es nie genau, wie in der Fiktion. Die meisten dieser Dystopien haben beispielweise das Internet, die damit einhergehende Vernetzung von Daten und neuen Kontrollmöglichkeiten, nie vorausgesehen. Statt des großen Bildschirms an der Wand, der uns überwacht, tragen wir ihn alle in Form eines Smartphones in der Hosentaschen überall mit uns herum.

Dystopie oder Realität? Überwachung als Normalität

Die fiktiven Dystopien haben noch ein Problem, wenn man sie nutzen möchte, um auf die Gefahren von Überwachung hinzuweisen: In den meisten Szenarien lebt der Großteil der Gesellschaft sehr friedlich und zufrieden mit der aktuellen Situation. Die Überwachung wird stillschweigend akzeptiert.

Das ist wiederum erstaunlich nah an der Realität: Denn auch heute wird sich vermutlich kein großer Widerstand dagegen regen, falls die Vorratsdatenspeicherung, unter diesem oder einem anderen Namen, demnächst alle unsere Kommunikationsdaten und Bewegungsabläufe in einem Ministerium speichert.

Dieser Text erschien zunächst in der Allgemeinen Zeitung

 

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Die Satire der Vorratsdatenspeicherung

[dropcap type=“2″]G[/dropcap]lauben Sie, dass es einen Terroranschlag verhindern könnte, wenn die Polizei genau wüsste wann Sie mit wem vor sechs Monaten telefoniert haben?

Falls ja, sollten Sie sich schleunigst bei der Polizei melden. Falls nein, sollten Sie sich schleunigst bei der Politik melden. Denn diese plant gerade in einem weiteren Anlauf die Vorratsdatenspeicherung einzuführen.

Wohlgemerkt geht es bei der Vorratsdatenspeicherung nicht darum nur die Kommunikation irgendwelcher Islamisten zu überwachen, sondern auch zu speichern wann genau Sie mit wem telefoniert, gemailt oder gesimst haben. Für ein halbes Jahr.

[quote_center]Glauben Sie, dass Ihre Telefonate einen Terroranschlag aufdecken?[/quote_center]

Es ist schon eine ganz eigene Form der Satire, wie die CDU/CSU nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo der AfD vorwerfen, den Terrorvorfall für die eigene Politik zu missbrauchen und im selben Atemzug für sich die Vorratsdatenspeicherung zu fordern.

Erschreckender Weise stimmt nun auch die SPD mit ein, die vor der Wahl noch Vorbehalte anmeldete. Zwar sträubt sich Justizminister Heiko Maas weiterhin tapfer, aber die Parteispitze mit Sigmar Gabriel zeigt sich durchaus offen unsere Freiheit zu opfern. Der Vorschlag dazu sollte nur möglichst verfassungskonform sein und einen Richtervorbehalt beinhaltet.

Wir erinnern uns: Das letzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde trotz Richtervorbehalt vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig einkassiert. Wie so ein grundrechtskonformer Gesetzesentwurf also aussehen soll steht in den Sternen oder geheimen EU-Verhandlungen.

Vorbehalte gegen Vorratsdatenspeicherung

Letztendlich ändert auch der Richtervorbehalt nichts daran, dass die Daten aller Bundesbürger gespeichert werden. Was mit solchen anfallenden Daten geschieht, wissen wir seit Snowden sehr genau. Hier träumen sich die Sicherheitsextremisten der deutschen Politik endlich eine anlasslose Massenüberwachung nach Vorbild der NSA herbei. Denn was anfangs mit der Terrorprävention gerechtfertigt wird, wird schnell auf andere Felder ausgeweitet, wenn die Daten schon mal da sind. Es ließe sich sicher auch der ein oder andere Steuer- und Verkehrssünder ermitteln.

Wobei ein grundsätzlicher Beweis für die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung noch aussteht. Gerade die Anschläge in Paris sind ein schlechtes Beispiel: Frankreich verfügt über die Vorratsdatenspeichung und vermochte dennoch keine der Gräultaten zu verhindern. Massenüberwachung taugt also eher zur Kontrolle der Bevölkerung, nicht zur Terrorbekämpfung.

„Je Suis Charlie“ als reines Lippenbekenntnis

Der Ruf „Je Suis Charlie“ ist für die Politiker nur ein Lippenbekenntnis: Statt dem Versprechen nachzukommen, unsere Freiheit auch im Angesicht des Terrors zu verteidigen, nutzen sie es, um unsere Freiheit einzuschränken. Wahre Realsatire.

Titelbild: CC BY-SA 2.0 Jonathan McIntosh