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Pressalien (3): Kapitalismuskritik jenseits des Marxismus

Ich habe diesen Artikel schon über unseren neuen Artikel- und Linkempfehlungs- und -verbreitungskanal @morgenlinks verlinkt, zusammen mit den anderen Preisträgern des Deutschen Reporterpreises. Alle diese Stücke Journalismus sind selbstverständlich hevorragend und lesens- (beziehungesweise im Falle der Audioslideshow sehens-) wert. Dennoch möchte ich das ZEIT Dossier von Wolfgang Uchatius noch einmal gesondert hervorheben. Es greift nämlich etwas auf, was im Journalismus viel zu selten geschieht. Es stellt die Frage nach Großem und Grundlegendem. Es geht nämlich um Systemkritik am Kapitalismus und das jenseits linker Plattitüden, oder kommunistischer Träumereien. Darin geht es nicht so sehr um die unendliche Gier von Managern und das Anprangern der Misständer in einer globalisierten Welt, sondern um das Aufzeigen von Alternativen. Darin geht es natürlich auch um Grundeinkommen und Arbeitszeitverkürzung, aber auch um Alternativwährungen und die Verzwicktheit des Kreditwesens.

Ein Mensch benötigt zum Leben etwa 2500 Kilokalorien, ein paar Liter Wasser und etwas Sauerstoff. Er benötigt das jeden Tag, in jedem Jahr. Er braucht nicht morgen mehr als heute und übermorgen noch mehr. Warum muss das anders sein, wenn es um Unternehmen und Konzerne geht? Warum muss Opel immer mehr Autos verkaufen? Warum brauchen wir immer mehr Besitz, mehr Gewinn?

Warum brauchen wir unbedingt Wirtschaftswachstum?

Also unbedingt lesen.

Mit lesen meine ich nicht, dass man sofort allen Überlegungen zustimmen muss, aber es ist wichtig, dass man wenigstens mal darüber nachdenkt. Vor allem nachdem die Krise schon wieder passé und Gewinnmargen von 25% in banken wieder am Horizont sind. Soll ich nochmal sagen unbedingt lesen? Ne, ich glaube ihr wisst Bescheid.

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Bachelor: Keine Zeit für Bildungsstreik

Auch unsere Uni brennt; seit 3 Wochen ist jetzt das Auditorium Maximum von Studenten besetzt. Inzwischen vom Uni-Präsidenten toleriert, harren dort Tag und Nacht einige tapfere Studenten aus. Nach meinem Eindruck sind das allerdings selten die geschundenen Bachelor die dort gegen ihre Studienbedingungen aufstehen. Die haben für so etwas nämlich gar keine Zeit.

Schließlich haben sie in den meisten Veranstaltungen Anwesenheitspflicht und wer dort mehr als 2 mal fehlt, egal ob entschuldigt oder nicht, hat die Veranstaltung nicht bestanden. Nachholen kann er sie meist nicht mal im nächsten Semester, da die Veranstaltungen nicht jedes Semester angeboten werden und wenn er noch mehr Pech hat kann er auch die anderen Veranstaltungen nicht besuchen, da diese auf dem Modul aufbauen, dass er oder sie dann nicht bestanden hat. So hat man ruckzuck ein Semester mehr auf dem Studienkonto und glaubt man den Studienberatern ist das Gift für den Lebenslauf.

Man könnte den Bachelor ja vorschlagen in ihren Freistunden für ihre Rechte einzutreten, aber auch da sieht es mau aus: Konnte ein Magister oft noch mit 10-12 Wochenstunden durch das Semester schlendern (vieles davon als Sitzschein deklariert) kommen die Bachelor locker auf das doppelte Pensum von 24-26 Semesterwochenstunden. Dazu werden alle Veranstaltungen auch noch in irgendeiner Weise abgeprüft, sei es Referat, Hausarbeit oder Klausur und sind wie oben erwähnt auch meist Anwesenheitpflichtig. Vor- und Nachbereitung sind da noch nicht eingerechnet.

Besetztes Audimax an der Uni Mainz

Für Proteste oder studentisches Engagement ist auch gar keine Zeit eingeplant, denn die Bachelorstudiengänge sind allesamt als Vollzeitjob kalkuliert. Schuld daran sind die so genannten ECTS-Credits die für eine bessere internationale Vergleichbarkeit sorgen sollten. In einem Studienjahr muss ein Student im Regelfall 60 solcher „Credit-Points“ sammeln, in der Konzeption steht jeder davon für 25-30 Stunden Arbeit, dass macht einen Arbeitsaufwand 1.500-1.800 Stunden im Jahr, bzw. eine 40 Stundenwoche bei 6 Wochen Urlaub. Ein Fulltimejob. Wann Studenten da noch Zeit haben sollen ihren Lebenunterhalt mit einem Nebenjob zu verdienen,oder schlimmer noch in CDU-Länder das Geld für die Studiengebühren aufbringen sollen, bleibt vollkommen unbeantwortet. Angesichts solcher Sorgen noch gegen die Studienbedingungen und für mehr Mitbestimmung auf die Straße zu gehen…

Höre ich mich unter meinen Kommilitonen um, begegnet mir aber ab und zu auch ein anderer Grund den Protesten gegenüber skeptisch zu sein: Angst, dass sich tatsächlich was ändern könnte. „Was, wenn die Bachelorreform zurück genommen wird? Wenn sie alles umschmeissen?“

Die Bachelorstudenten leben mit der Angst, ihren Versuchskaninchenstatus ihr Leben lang nicht mehr loszuwerden. Sie fürchten, dass der Bachelorabschluss, dessen Akzeptanz schon jetzt absolut unsicher ist, noch weiter Schaden nehmen könnte und sie auf ewig gebrandmarkt bleiben als eine Studentengeneration, an der man ziellos herumgedoktort hat, die dann mangelhaft ausgebildet auf den Arbeitsmarkt losgelassen und dort nicht angenommen werden.

Mehr Informationen zu den Studentenstreiks findet man vor allem über Twitter unter den Hastahgs #unibrennt, #unsereuni und #bildungsstreik.

Foto unter CC von knicolai

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Die neue Pandemie

Neben den Impfstoffen hat die Schweinegrippe einen weiteren Gegner gefunden. Gibt man den medialen Ergüssen der letzten Tage recht, scheint eine neue Pandemie ausgebrochen zu sein, die sich sehr gefährlich ausbreitet. Hinter dem Schicksal Robert Enkes wird die Depression als neue Volkskrankheit entlarvt, über der die Berichterstattung trotz aller Sorgfältigkeit gnadenlos stolpert.

Die Zeit nennt es „die versteckte Krankheit“ und erläutert wissenschaftliche Hintergünde neben der Aufzählung allerlei bekannter Persönlichkeiten mit dieser Diagnose, die zum Teil im Suizid ihr Ende fanden. Beschmückt sind die Buchstaben mit großen Fotos von weiblichen Schönheiten, die lethargisch gen Kameraobjektiv blicken. Auch der Spiegel hat sich dem Thema angeschlossen und erklärt allerlei Parallelen zum Leben Robert Enkes. Der Konkurrent Focus klärt nun ebenfalls über das „Tabuthema“ auf und bildet den Nationaltorwart auf dem Cover ab. Der Stern will zusätzlich dabei helfen, „die stille Gefahr“ zu erkennen. Selbstmordstatistiken auf dunklem Hintergrund geben den Ton an.

Außerhalb der Medizin ist es nicht unumstritten die Depression als Krankheit zu verstehen. Zwar beruht sie auf der Basis der Biologie, besitzt aber nicht die Symptome einer typisch erkennbaren Krankheit. Viel mehr ist sie eine schwer definierbare Masse aus möglichen Merkmalen, die in verschiedenen Ausprägungen vorhanden ist. Von der phasenweisen tristen Laune bis zum tiefsten seelischen Schmerz lässt sie sich beschreiben, aber nicht pauschal erklären, wie es gerne verstanden wird. Es gibt Menschen, die an einer Depression leiden und sich davon befreien können, während andere ihr Leben lang mit diesem Begleiter zu recht kommen müssen.

Den Freitod daher schlicht mit der Depression zu begründen, ist zu einfach. Der Todeswunsch ist vielleicht nicht selten Teil der Folge der Ausmaße einer Depression, nicht aber der erklärte Kontrollverlust, der derzeit medial als fremder Wille oder Hirnerkrankung gezeichnet wird. Man stirbt an einer Depression nicht so wie man an Krebs endet. Die psychischen Schmerzen stehen auf einer anderen Ebene, auch wenn einige der möglichen Symptome durchaus auch körperliche Leiden hervorrufen können. Gerade die Nennung verschiedener Berühmtheiten zeigt im Durchschnitt, dass darunter vor allem solche fallen, die nicht für Gedankenlosigkeit bekannt sind und ihren Schritt sicherlich nicht unüberlegt beschlossen. Auch ist die Tatsache, dass mehr Frauen an Depressionen leiden, aber deutlich mehr Männer den Suizid wählen, ein Widerspruch des typischen Krankheitstodes der neu ernannten Pandemie.

Schließlich befällt eine Depression die Gedanken und auch wenn sie aus chemischen Prozessen besteht, ist eine Reduzierung darauf eine zu einseitige Erklärung. Ein depressiver Mensch versteht sich weitestgehend nicht als krank, sondern viel mehr als verloren, ausgebrannt, überfordert, vielleicht als sinnlos oder erschöpft vom Leben. Daher muss die Krankheit auch von der Gefühlswelt interpretiert werden, statt sie leichtfertig mit der Biologie zu erklären, weil sie so verkannt wird und dem Leidenden einen dürftigen Stempel aufdrückt. So wie die Verliebtheit eigentlich auch nur Chemie ist, besitzt sie einen ganz anderen Wert im Bewusstsein der Menschen. Mitnichten also ist die Depression nur eine Krankheit, sondern ein Teil eben des Bewusstseins des Betroffenen.

Foto: „Oh Tomorrow I’m Alone …„, Hamed Saber, cc

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Wirklich „mehr netto vom brutto“?

Was bringen uns die schwarz-gelben Finanzpläne? Auch 2009 steht wieder eine neue Rekordverschuldung bevor. Ein geplanter Schattenhaushalt ist aus verfassungsrechtlichen Bedenken vorerst vom Tisch, doch planen CDU/CSU und FDP Beitragserhöhungen an Krankenkassen und Pflegeversicherung. Gleichzeitig stehen Steuererleichterungen im Raum. Doch wie sind die Neuerungen zu bewerten? Und sind die Pläne zum Abbau von Neuverschuldung umsetzbar, ohne dass am Ende doch eher weniger statt „mehr netto vom brutto“ bleibt?

Befasst man sich mit dem Koalitionsvertrag der neuen Regierung, wird schnell klar, dass vieles noch unklar und ausbaufähig ist. Zunächst: Der geplante Schattenhaushalt, der vor allem von der Opposition stark kritisiert wurde, wird erst einmal nicht in Kraft treten. Ein Schattenhaushalt meint ein Sondervermögen, das für besondere Aufgaben verwendet wird, beispielsweise zuletzt zur Bankenrettung. Der Clou dabei ist, dass Schattenhaushalte in der Neuverschuldung nicht auftauchen, für die ab 2011 in Kraft tretende Schuldenbremse der Bundesschulden also nicht relevant sind. Trotzdem dürfen ab 2011 keine neuen Sondervermögen mehr bedient werden. Ein Schattenhaushalt muss es nach Meinung der Koalition also nicht unbedingt sein, um die klaffenden Finanzlöcher zu stopfen. Also zahlen die Arbeitnehmer in Zukunft einen einkommensunabhängigen Betrag an die Krankenkassen – ähnlich einer „Kopfpauschale“ – der in Oppositionskreisen ebenfalls stark umstritten ist. Denn durch ständig steigende Kosten im Gesundheitssystem steigen so mit der Zeit auch die Beiträge.

Monopoly

Der neue Koalitionsvertrag: Was bringen die schwarz-gelben Finanzpläne wirklich?
(Foto von DavidDMuir unter Flickr, CC-Linzenz)

Zwar sind ebenfalls ab 2011 Steuererleichterungen geplant, doch ist fraglich, ob sich diese angesichts der steigenden Krankenkassen- und Pflegeversicherungskosten für den Bürger wirklich lohnen werden. „Mehr netto vom brutto“ lautet die schwarz-gelbe Devise. Für den Mittelstand und Besserverdienende bedeuten diese das vermutlich durchaus, doch bringt ihnen das angesichts ihres sowieso schon relativ hohen Gehalts nicht allzu viel. Menschen, die von der Unterstützung des Staates leben oder deren Einkommen unter der gesetzlichen Steuerabgabegrenze liegt, haben von diesen Steuererleichterungen überhaupt nichts. Höhere bzw. pauschal festgelegte Abgaben müssen sie trotzdem zahlen. Auch heißt es im Koalitionsvertrag lediglich „möglichst bis 2011“, feste Zusagen konnte und wollte der neue Bundesfinanzminister Schäuble im Interview mit Anne Will nicht machen. Für ein von Familienpolitik dominiertes Land eher schwach, denn in der Familienpolitik besteht besonders bei sozial benachteiligten Familien Verbesserungsbedarf.

Und so lautet hier das Motto: Keine soziale Kälte mit Schwarz-Gelb! Bislang blieben 250 € pro Lebensjahr Vermögen von Hartz IV-Empfängern verschont – das entspräche für einen 65-jährigen ein Schonvermögen in Höhe von 16250 € –, in Zukunft sind es 750 €. Auch die Zuverdienstgrenze von derzeit 100 € wird auf einen noch unbekannten Betrag erhöht, um den Anreiz zur Arbeit zu steigern. Im Interview mit der Tagesschau sagte der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zwar, „fundamentale Ungerechtigkeiten im Hartz IV-System [zu] beseitigen“, doch für große Sprünge ist kein Geld da, so oder so. So wird der kleine Fisch eher als Hai verkauft, was er aber nicht ist. Und so kommt es, dass sich die Themen Schonvermögen und Zuverdienst schon wichtiger als beispielsweise Steuergrenzen anhören, die aber ebenfalls wichtig sind. Zumal Ziele wie Bürgergeld statt Hartz IV und die Abschaffung des Gesundheitsfonds noch lange nicht geklärt sind.

Trotzdem sind einige Punkte des neuen Koalitionsvertrages viel versprechend: Ein Verbot sittenwidriger Löhne, eine Erhöhung des Kindergelds von 164 auf 184 €, der Ausbau von Betreuungsangeboten für Kleinkinder und des Bildungssystems, die Abschaffung von Internetsperren und die Erleichterung des Wechsels zu Privaten Krankenkassen lassen auf einige sichtbare, positive Änderungen in der neuen Legislaturperiode hoffen. In jedem Fall – und nicht zuletzt wegen der Besetzung des Posten des Finanzministers durch Wolfgang Schäuble – bleibt es spannend. Es herrscht Aufbruchsstimmung in Deutschland. In Zeiten der Krisen ist das nicht schlecht.

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Bewegen & Beschäftigen Gesellschaft Wort

Alles (Analog-)Käse?

Einmal mehr sucht seit Donnerstag die Jury um den Frankfurter Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser das Unwort des Jahres. Gesucht werden Wörter oder Formulierungen, die „sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise sogar die Menschenwürde verletzen“.

In den letzten Jahren schafften es die Begriffe „Notleidende Banken“ (2008), „Herdprämie“ (2007) und „Freiwillige Ausreise“ (2006) an die Spitze der sprachlichen Fehltritte. Doch auch in diesem Jahr sind wieder einige verdächtige Unwörter dabei. Netzfeuilleton.de hat sich ein paar genauer angesehen.

Schweinegrippe: Vermutlich gibt es kein Wort, das 2009 öfter in den Medien zu hören und lesen war als die Schweinegrippe, alternativ gerne auch Mexiko-Grippe, Neue Grippe, Nordamerikanische Grippe, H1N1 usw. Seit Mitte April ist sie in unser aller Bewusstsein gebrannt wie Amokläufe an Schulen und verbreitet dort Angst und Schrecken. Die einen machen sich Sorgen um ihre Gesundheit, die anderen um ihr Steak und wieder andere, die Krankenkassen, um’s Geld, denn ab kommendem Montag wird geimpft, was das Zeug hält. Nur hat die Schweinegrippe an sich lediglich bedingt etwas mit Schweinen oder überhaupt Tieren zu tun, was also irreführend, aber doch mal irgendwie originell ist – würde es nicht irgendwann nur noch nerven.

Analogkäse

Flüchtlingsbekämpfung: Was sich nach dem Parteiprogramm der NPD anhört, kommt von unserer Alt- und Neu-Kanzlerin Angela Merkel. Während eines Bürgerforums im Februar würdigte diese Deutschlands Beitrag zur Flüchtlingsbekämpfung im europäischen Mittelmeerraum, erklärte aber, dass dies natürlich auch mit Entwicklungshilfe geschehe.

Halteprämie: Als würden Top-Manager und „unverzichtbare“ Leistungsträger nicht sowieso schon genug Geld verdienen, waren auch in diesem Jahr wieder – Wirtschaftskrise hin oder her – Halteprämien eher gängige Praxis in Banken als einzelne Ausnahmefälle. So zahlte beispielsweise die HSH Nordbank trotz Schulden von knapp 3 Milliarden Euro ihrem Vorstandschef im Juli 2,9 Millionen Euro, um diesen auch nach Vertragsablauf „zu halten“.

Analogkäse: Zugegeben, das Wort Analogie bedeutet ja so viel wie Ähnlichkeit bzw. Entsprechung, für einen Käse geht es aber nun doch zu weit. In die Kritik geriet der Kunst- bzw. Plastikkäse, der nicht oder nur zum Teil aus Milch besteht, weil er trotzdem oft als echter Käse deklariert wird. Es ist also doch nicht immer drin, was drauf steht.

Dienstwagenaffäre: Geht man nach ihrer Medienpräsenz, so war Ulla Schmidts Dienstwagenaffäre im Juli mehr eine Staatsaffäre. Erst reiste sie in ihren wohl verdienten Spanien-Urlaub, lies sich dann ihren Dienstwagen hinterher fahren und anschließend auch noch klauen, was kurz vor der Bundestagswahl einen Skandal im heimischen Deutschland auslöste. Zwar tauchte dieser kurze Zeit wieder auf, ihren Platz im SPD-Kompetenzteam kostete sie die Affäre vorerst trotzdem.

Titelbild: Schnitzel mit Analogkäse
Bild von frollein2007 unter flickr (CC-Lizenz)

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„Ich habe Krebs“

Soll der Mensch von der Erfahrung mit dem Sterben erzählen, fragen sich die Medien. Ein Kommentar.

Der Mensch, der einem möglichen Ende nahe steht, mag viele Gründe haben, einen Text dieser Intimität zu verfassen. Er macht sich gläsern, lässt zu, vielleicht mit dem Wissen der tatsächlichen Mächtigkeit schon gegenüber gestanden zu sein. Wohlmöglich möchte er Anerkennung, wünscht sich Mitleid, gewiss aber Aufmerksamkeit; ein Wort, das so oft für etwas negatives steht, als seien nur die jenigen darauf aus, die es nicht dazu brächten. Jürgen Leinemann („Das Leben ist der Ernstfall“, Auszug), wie auch Christoph Schlingensief („So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“)und Georg Diez („Der Tod meiner Mutter“) schrieben jeweils ein Buch über eine – vielleicht die größte – Tragödie ihres Lebens und durften sich neben der Bewunderung auch den Kommentaren der Kritik stellen. Kalt hieß es in der Frankfurter Allgemeinen „Lasst uns mit eurem Krebs in Ruhe“ und im Freitag ist dieses Thema ein „gern gelesene[r] Exhibitionismus mit offenem Mantel und schmierigem Grinsen“. Man verdenkt dem Leidenden seine Öffentlichkeit, als sei sie ungebräuchlich, selbstherrlich, unästhetisch, ganz und gar Boulevard; das Schimpfwort des Feuilletons.

Die Dimensionen dieser Kritik sind eine gedankenlose Anmaßung, ein marodes Wollwerk scheinbarer Wichtigkeit und Notwendigkeit, weil sie die Kunst in Frage stellen, die so offenkundig weder dem Geld noch der Kunst Willen erschaffen wurde. Sie schreit nahezu hinaus, beachtet zu werden, möchte berühren und scheinbar nervt sie aus diesem Grund auch einige in ihrer fassadelosen Transparenz. Sie spielt kein Versteckspiel, ist weit weniger zerrissen und verzweifelt als Kafkas „Schloß“, aber bricht eine Ideologie, indem sie die des Sterbens aus der privatesten Ebene wie aus einem Tagebuch erzählt.

Man muss sich gefallen lassen, nicht in erster Linie unterhalten zu werden, sondern eine persönliche Dokumentation zu lesen. Der Detailreichtum macht diese Erzählungen zu schweren Geschichten, aber nicht mehr sind sie letztlich. Wer darin fehlende Selbstwürde sehen möchte, stellt den Menschen mehr ins Rampenlicht als die eigentliche Thematik – das Sterben. Sicherlich sind die Autoren nicht selbstlose Zeitgenossen, im Gegenteil, sie teilen sich über eine Zeit mit, in der sie nur sich selbst sehen konnten. Die Vorwürfe sind lose Urteile über etwas, das keinen richtigen Umgang kennt, weil es eine absolute Grenzerfahrung ist, es für den Einzelnen zum Mittelpunkt avanciert, fern ab irgendwelcher Meinungen über die Wirkung und Notwendigkeit in der Öffentlichkeit. Das Leiden war es stets wert, nicht verschwiegen zu werden.

(Das Foto zeigt eine Brustkrebszelle und entstammt dem Archiv des National Cancer Institute und ist frei nutzbar. Die Amazon-Links in diesem Artikel sind Affiliate-Links)

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Warum die Netzsperren jetzt so einfach verschwinden

Die Netzgemeinde darf sich gratulieren, ihrem gemeinsamen Engagement und ihrer Unnachgiebigkeit ist es zu verdanken, dass die Internetsperren nun gekippt bzw. verschoben wurden.

Gleichzeitig wird klar, was das „Zugangserschwerungsgesetz“ von Anfang war: eine Wahlkampffarce. Frau von der Leyen roch die Gelegenheit, sich als Amazone im Kampf gegen die Kinderpornografie zu profilieren. Mit dem Widerstand bei einer so ehrenvollen Aufgabe hatte sie nicht gerechnet und konnte ihn mit Hilfe der Bild-Zeitung zum Glück noch übertönen. So naiv zu glauben, das Gesetz könne tatsächlich etwas gegen die Verbreitung ausrichten, waren wohl auch nur deren Leser. Wahrscheinlich hat man nicht einmal in der CDU daran geglaubt. ((Das BVG hätte es mit Sicherheit nicht.))
Deswegen fällt das Gesetz jetzt auch bereitwillig (bzw. wird für ein Jahr ausgesetzt), denn nun kann es einem neuen Zweck dienen: die FDP vor dem Ruf als Umfaller bewahren. Den Liberalen hilft es, ihr Profil als Bürgerrechtspartei zu schärfen, ohne wirklich etwas bewegen zu müssen. Der Beschluss wurde natürlich auf Twitter und Co. mit einigem Beifall aufgenommen und schaffte es vielerorts über die restlichen Verhandlungsergebnisse hinwegzutäuschen. So wird der Zugriff auf die  Daten der Vorratsdatenspeicherung nun zwar auf „schwere Gefahrensituationen“ beschränkt, gespeichert wird aber weiter unvermindert. Kai Biermann spricht bei Zeit Online von einem Phyrrus-Sieg. „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“. Dass für so ein Schmierentheater demokratische Grundsätze auf Spiel gesetzt werden, ist und bleibt mehr als verwerflich. ((Shame on you, Zensursula!))

Gespannt darf man sein, wie es mit der politischen Bewegung im Netz weiter geht, nun, wo das einigende Thema Nummer 1 erst einmal vom Tisch ist. Wird sich die politische Aufmerksamkeit der Blogosphäre erhalten? Werden die zahlreichen Blogs bereitstehen, wenn es in einem Jahr darum geht, ob man nun vielleicht doch lieber sperrt statt löscht? Bleiben die Netzsperren das politische Erweckungserlebnis der Blogs in Deutschland, oder fallen sie bald wieder in ihren Siebenschläferschlaf?

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„Grundeinkommen“ bedingungslos downloaden

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein spannendes Konzept, das über alle Parteigrenzen hinweg kontrovers diskutiert wird. Im Kern geht es darum, dass jeder Bürger bedingungslos einen gewissen Betrag erhält, z.B. 2000 €, dafür werden eigentlich alle anderen Staatszuwendung, Steuererleichterungen etc. gestrichen.

Im Februar hatte eine ePetition in Deutschland über 52.000 Unterzeichner gefunden und wird wohl demnächst (?) vor dem Parlament verhandelt werden. In der Schweiz kümmert sich der Filmemacher Daniel Häni, den die taz heute ausführlich portätierte, um einen Volkesentscheid für ein bedingungsloses Grundeinkommen über 1.500 € für jeden Schweizer. Um sein Vorhaben voranzutreiben hat Häni den Filmessay „Grundeinkommen“ gedreht und reist damit durch die Schweiz, er bietet den Film aber auch zum kostenlosen Download an.

Grundeinkommen

Denn werde ich jetzt demnächst wenn ich Zeit habe mal anschauen und mich dann vielleicht nochmal ausfürhlicher zu dem Thema äußern. Ich empfehler den Film aber jetzt schonmal, denn sich wenigstens mal Gedanken über den Vorschlag zu machen schadet mit Sicherheit nicht.

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Wickie und die U-Bahn-Grabscher-Bande

Gestern war ich in der DVD-Abteilung des örtlichen Media Markts und freute mich über Kinder-DVDs wie „Urmel aus dem Eis“ und „Wickie und die starken Männer“. Ich erinnerte mich daran, dass ich als Kind Wickie immer sehr toll fand, wenn sie wieder einen ihrer Ich-reibe-mich-an-der-Nase-Einfälle hatte. Nicht schlecht schaute ich allerdings, als ich entdeckte, dass die Rubrik „Anime“ direkt neben den Kinder-DVDs platziert war. In dieser waren Filme wie „Die U-Bahn-Grabscher-Bande“ (mit ziemlich extrem großen Brüsten auf dem Cover) und „Black Lagoon“ zu finden. Ein Blick ins Internet verrät, dass bei diesen Beispielen der erste Film mit FSK 18 und der zweite mit FSK 16 ausgezeichnet ist. Das war nun etwas, was in meinen Kindheitserinnerungen fehlt.

DVD
Media Markt: Wickie und direkt daneben „Die U-Bahn-Grabscher-Bande“
(C) Autor

Vielleicht ist es die Tatsache, dass wir zu Hause lediglich drei Programme und damit die Sender, auf denen dieses oder ähnliches auch im Nachmittagsprogramm läuft, nicht hatten, dass ich etwas erschüttert über diese Entdeckung bin. Vielleicht stelle ich mich auch nur an. Und vielleicht hat ein Media Markt-Mitarbeiter nach einer langen Woche nur nicht darüber nachgedacht, wie er seinen Laden einteilt beziehungsweise war der Meinung, dass Anime ja auch so etwas wie Asterix-Zeichentrick ist. Vielleicht ist es aber auch ein Abbild dessen, was in unserer Gesellschaft zunehmend normal wird, dass unrealistische und überzogene Ideal-Bilder sogar schon den Wickie-Zuschauern suggeriert werden.

Allein: Dass sich Wickie und Urmel schon so lange erfolgreich in den Verkaufsregalen der Märkte halten, macht mir doch irgendwie ein gutes Gefühl.

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„nur ASSIs!!“


Der tazWerbespot, der Dank dem Urteil des Bundesgerichthofs wieder veröffentlicht werden darf, macht nun die Runde. Die intelligentesten Köpfe des Landes haben hierzu Stellung bezogen. Im Folgenden lesen Sie nun ausgewählte Zitate aus dem Kennerkreis der Weltphilosophie.

Das ist sie also die hemmungslose Intellektuellenelite, die Tag und Nacht mit Selbstanalysen verbringt und nur für die Lesung brillianter Magazine wie Neon oder etwa Zeit Campus kurze Pausen einzulegen scheint. Gütig wie sie ist, gestattet sie auch dem niederen Volk ab und an die Gunst, an ihrem großen Reichtum an Gehirnverknüpfungen teilhaben zu dürfen.

Mit unwiderlegbaren Thesen gibt die Gruppe der hochbegabten Mitbürger hier ihre brisanten Errungenschaften des Wissens bekannt.

Nur die hochmodernsten Formen der altgermanischen Rechtschreibung sind den Intelligenzbaronen halbwegs gut genug, um kleine Happen ihrer perfektionistischen Auffassungsgabe an die dumme Menge abzugeben.

Mit erhobenem Daumen stimmen die gebildeten Leistungssportler der oberen Klasse zu. Die erfahrungsgemäße Sachlichkeit macht jede der Aussagen zu appetitlichen Leckerbissen im lehrreichen Zitatebuffet.