Kategorien
Bewegen & Beschäftigen Netz & Politik

Wikileaks – Hinter den Kulissen der Netzaktivisten [Update]

Die Causa Wikileaks mit all ihren Facetten belagert nach wie vor alle Kanäle. Noch sind nicht alle Dokumente veröffentlicht, aber vor allem die Verhaftung – Freilassung – Hausarrest von Julian Assange halten das Thema oben.  Dabei wird immer mehr über die Arbeitsweise der Organisation bekannt, Wikileaks selbst rückt in den Fokus. Das muss man großteils begrüßen, denn eine Organisation, die so viel Macht hat muss auch selbst transparent. Schließlich ist das ihr eigenes Motto: Transparenz der mächtigen Machenschaften. Diese Kritik an Wikileaks vertritt nicht nur der ehemalige Spreche Daniel Domscheit-Berg, der im Januar ein Buch mit eben dem Titel „Inside Wikielaks“ veröffentlichen möchte.  Gleichzeitig sehen sie sich natürlich einer Vielzahl von Gegnern gegenüber, wie die Schmierenkomödie vor den Gerichten dieser Welt beweist und diese profitieren von jeder Information über diese Organisation, die gleichzeitig geheim Arbeiten muss. Allerdings sind CIA und Co wahrscheinlich an ganz anderen Details interesiert und bereiten ganz andere Aktionen vor, als die, die ich mit euch hier teilen möchte. Es gibt nun sogar eine extra Task Force speziell für Wikileaks. Die Abkürzung lautet schenkelklopfender Weise W.T.F. (Wikileaks Task Force).

Als erstes gibt es da eine  Dokumentation der schwedischen Journalisten Bosse Lindquist und Jesper Huor. Diese haben Julian Assange und sein Team für 6 Monate begleitet und zeigen so noch einmal die Geschichte und die wichtigsten Enthüllungen der Whistleblower-Plattform. Netzpolitik.org hat die deutsche Version dankenswerter Weise online gestellt:

WikiLeaks – Rebellen im Netz from netzpolitik on Vimeo.

Wer sich für die Medienkooperationen von Wikileaks interessiert (ein weiterer Kritikpunkt von Daniel Domscheit-Berg und nun auch ein Fall für den Presserat), dem sei diese hochspannende Folge des Medienradios empfohlen. Darin spricht Philip Banse mit Holger Stark vom Spiegel, der die Recherchen betreut hat. Auch er plant übrigens Ende Januar ein Buch zu Wikileaks.

Sowohl in der Dokumentation, als auch im Medienradio-Interview wird deutlich, wie wichtig die eingegangenen Medienkooperationen sind. Wikileaks ersetzt eben nicht den Journalismus, sondern ergänzt ihn und umgekehrt. Wikileaks hat die Dokumente, der Journalismus das Know-How und die Recherchekapazitäten. Wikileaks war die wohl wichtigste Organisation dieses Jahr und wird uns sicher und hoffentlich noch weit bis ins nächste hinein begleiten. Umso unverständlicher, dass das TIME-Magazin Mark Zuckerberg anstatt Julian Assange zur „Person of the Year“ ernannt hat. Doch auch dazu hat sich Assange geäußert, wenn auch vertreten durch das Saturday Night Live Team:

Update: Ergänzend noch das Interview von AlJazeera mit Julian Assange bei „Frost over the World„:

mehr…

Kategorien
Bücher

Malte Welding & die Generation Lieblos

Als ich hörte, Malte Welding schreibt ein Buch, habe ich mich gefreut. Als ich hörte es wird ein Ratgeber, dachte ich: „Ach, du Scheiße!“. Als ich dann noch hörte einer über Liebe, dachte ich weiter: „Grundgütiger, nicht noch einer! Warum nimmt man nicht lieber die wunderbaren Geschichten des Liebestöters Paul und versucht sie zwischen zwei Buchdeckel zu pressen?“ Als er dann seine Rubrik in der Berliner Zeitung über eben dieses Thema startete, freute ich mich wieder auf das Buch, schrieb einen fanzigen Kommentar auf Facebook, woraufhin Malte Welding so nett war, mir das Buch zu schicken zu lassen.

„Frauen und Männer passen nicht zusammen – auch nicht in der Mitte.“

Welding zerpflückt in seinem Debüt „Frauen und Männer passen nicht zusammen – auch nicht in der Mitte.“ gekonnt das Liebesleben oder -sterben. Dabei gelingt es ihm nicht in Ratgebersprech zu verfallen, sondern er hat sich den Blogger beibehalten. Die Kapitel hängen lose zusammen, erzählen und erörtern anekdotisch verschiedene Aspekte. Im Buch begegnen uns verschiedene Schicksale: Karsten, der schwule Nerd, der hübsche Thomas, der eigentlich Sex ohne Ende hat – Dank seines raffinierten Kakaotricks – aber trotzdem nie eine Beziehung, der weniger hübsche Jonas, die alleinerziehende Clara und Terminchen, die nichtmal Zeit hat sich von ihrem Freund zu trennen, aber Zeit ihn permanent zu betrügen, aber auch das macht ihr nicht richtig Spaß. Das ist die Stärke des Buches, anstatt auf  amerikanische-Wissenschaftler-haben-herausgefunden-Fakten zu setzen oder der peaseischen Evolutionstheorie anzuhängen, folgt er einer genauen Beobachtungsgabe. Viele dieser Beobachtungen kommen einem dabei bekannt vor, gibt es sie wirklich oder sind das Klischees?

„Manchmal gibt es Sachen, die sind so sehr Klischee, dass ich sie lieber nicht schreiben würde. Aber vielleicht sind sie nur Klischee, weil sie so oft vorkommen.“

Doch es geht längst nicht nur um diese Einzelschicksale, Welding zeichnet viel mehr ein Bild einer gesamten Generation bzw. Gesellschaft, die es verlernt hat zu lieben und der Liebe ihren Platz zu schenken. Feierten die Großeltern noch goldene Hochzeiten bis zum Umfallen, ist die Elterngeneration geschieden und die jungen bekommen es anscheinend gar nicht mehr hin. Warum? Welding identifiziert den grassierenden Narzissmus und Bindungsängste als Ursache. So sind wir beispielsweise allzeit bereit für den Job umzuziehen, für die Liebe? Wer weiß wie lange das hält. In einer dauergestressten Gesellschaft hat jeder sein Päckchen zu tragen, will aber seine Last nicht teilen, schließlich steckt da die ganze mühselig zum Schutz aufgebaute kaputte Persönlichkeit drin. Zwischen diese Gesellschaftsanalysen gesellen sich die kurzen Ratgeberabschnitte, amüsant geschrieben und teilweise durchaus denkanregend. Als Zielgruppe scheint Malte Welding dabei durchaus auch jene Twitterer im Kopf zu haben, die pausenlos twittern, dass sie keinen Sex haben (was vielleicht damit zusammenhängt, dass sie pausenlos twittern, dass sie keinen Sex haben). Erst gegen Ende driften seine Ratschläge und Betrachtungen etwas in Richtung Gesamtlebenshilfe ab. Das ist gleichzeitig aber wieder Weldings Stärke, dass er die Liebe nicht beschränkt aufs Bett betrachtet, sondern eingebettet in jenes soziale Gefüge, mit dem wir uns herumschlagen. Am Ende schafft es aber Welding tatsächlich, dass man sagt: irgendwie muss es doch gehen. Oder um es mit den Worten von Maxim Biller zu sagen: „Wenn Malte Welding über die Liebe schreibt wirkt sie auf einmal ganz leicht.“ Eigentlich müsste man nur weniger Arschloch Narzisst sein und sich Zeit nehmen für dieses Liebesding. Vielleicht fang ich gleich mal an, in dem ich eines von Weldings Büchern verschenke. An euch. Und wenn ihr noch ein last Minute Geschenk sucht, dann tut es mir doch gleich, Menschen mit Liebesproblemen hat sicher jeder genug im Bekanntenkreis.

Wer sich noch nicht sicher ist, schaut bei Malte Welding im Blog vorbei, da gibt es Lese- und Hörproben vom Buch, Outtakes (1,2,3) und noch mehr Stimmen.

Verlosung

Pünktlich zu Weihnachten, dem Fest der Liebe, sollt ihr nicht leer ausgehen. Deshalb verlosen wir eines von Malte Weldings Büchern „Frauen und Männer passen nicht zusammen – auch nicht in der Mitte“. Was ihr dafür tun müsst? Wir wollen euern besten Liebestipp hören. Wie klappt das mit Mann und Frau?

Diesen Tipp postet ihr dann hier in den Kommentaren, auf Twitter mit dem Hinweis auf diesen Text (Link: http://netzf.eu/MaltesLiebe) oder ihr hängt ihn an unsere Facebook-Wand. Oder ihr macht alles 3 und verbessert so eure Chancen. Schluss damit ist am 24.12 um 18.00 Uhr. Danach ist Bescherung. Ausgeschlossen sind der Weihnachtsmann, Netzfeuilletonverbandelte und der Rechtsweg.

Viel Glück.

Update: Der Zufall hat gesprochen und gewonnen hat Hirsch Nadja. Herzlichen Glückwunsch, das Buch ist unterwegs! Auch allen anderen vielen Dank fürs Mitmachen!

Kategorien
Flimmern & Sehen Kleines Fernsehen TV Tipp

Stuckrad Late Night – Verschollene Piloten II

Diesen Sommer gab es einen weiteren Piloten, der Fernsehgeschichte schrieb, ganz ohne Fernsehen. Das ganze Land steckte irgendwo in einem Sommerlochsumpf in dem es von grauhaarigen Monstern mit runden Brillen wimmelte, die wie wild Schwarz-Rot-Weiße Bücher und provokative Äußerung um sich warfen. Und als sich alle fragten, wer jetzt dümmer sei die Muslime, Thilo Sarrazin oder die Journalisten die es einfach nicht schafften ein Ersatznessi für die Titelseiten zu finden, tauchte ein Ausschnitt auf Youtube auf, der die Diskussion noch weiter anheizte:

Thilo Sarrazin, der Linksausleger der NPD Rechtsausleger der SPD, spricht über Joseph Goebbels: „Der Man war sehr gut mit Worten, er war ein Menschenverführer.“ Jackpot. Was brauchte es noch mehr aus dem Mund dieses Mannes, der schon so viel Grütze verzapfte? Der Ausschnitt machte die Runde. Es war die Pilotsendung von „Stuckrad Late Night„, die im Juni für ZDFneo aufgezeichnet, aber noch nicht ausgestrahlt wurde. Als Reaktion auf die Leaks einzelner Ausschnitte stellte ZDFneo dann schließlich die komplette Folge auf Youtube und strahlte sie am 15. September auch im Fernsehen aus. Die Show wurde alleine über Youtube mehr als 100.000 mal abgerufen. Die Presse umjubelte den barreschen Zettelmoment, Stuckrads Subtilität und seine perfide beiläufige Art zu Fragen.

Der zweite Pilot ist schon abgedreht, noch nicht auf Youtube zu sehen, aber heute Abend im Fernsehen. Um 22.30 Uhr auf ZDFneo wird sich zeigen ob Benjamin von Stuckrad-Barre das Niveau halten kann. Mitentscheidend sind sicherlich die Gäste, Gregor Gysi und Guido Westerwelle ((na ob der sich noch traut?)) sind bereits eingeladen. Ab dem 6. Januar soll es wöchentlich weiter gehen. Stuckrad Barre ist dabei nicht allein, im Hintergrund steht als Produzent Christian Ulmen, vorne steht er als Uwe Wöllner. Oben auf dem Balkon sitzen  Hajo „Waldorf“ Schuhmacher und Jörg „Statler“ Schönbohm und rufen dazwischen. Ich bin gespannt, ob sich hier eine weitere Late Night Hoffnung für Deutschland etabliert.

Hier die komplette Pilotfolge auf Youtube oder in der ZDF Mediathek.

Foto unter CC-BY-Lizenz von LAC-BAC

mehr…

Kategorien
Kleines Fernsehen

Charlotte Roches „Wahrheit oder Pflicht“ – Verschollene Piloten

Das Fernsehprogramm, ewig das gleiche, nie was neues. Copycats auf allen Sendern. Doch einige hören nicht auf Widerstand zu leisten und produzieren immer wieder Pilotsendungen mit durchaus unterhaltsamen Konzepten. Diese versenden sich oft, sind entweder erfolgreich oder schnell vergessen. Ihnen wird eine Chance gegeben oder nicht genug Zeit gelassen. Oder sie bekommen eine Chance, werden dann aber so umgebaut, dass nichts von dem Charme der ursprünglichen Debütsendung übrig bleibt.

Ein Glück gibt es Youtube, das Fernsehen der Gegenwart. Dort kann man, zwischen all den tanzenden Babys auf jene Juwelen finden die nur einmal oder gar nie über den Äther flimmerten. Zwei davon habe ich gefunden, einer ist die von Charlotte Roche selbst produzierte Sendung „Wahrheit oder Pflicht“. Zu Gast sind Roger Willemsen, Ferris MC, Mieze (MIA.) und Kim Fischer. Was eine irre Mischung. Diese 5 treffen sich also in Charlotte Roches WG und spielen das beliebte Partyspiel „Wahrheit oder Pflicht“.

Für mich ist dieses Stück Fernsehen, dass es nie ins Fernsehen schaffte ein Beleg, dass in Sendungen mehr Alkohol getrunken werden sollte. Ich erinnere mich noch eine TV Total Silvester Sendung mit Bully und ich glaube Elton, schon vor 12 fingen die Gäste und der Moderator an Sekt zu tringen und siehe da, sie wurden richtig lustig. Nun stelle man sich mal vor bei Anne Will würde statt Wasser, Wein asugeschenkt. Würde das nicht manche Diskussion auflockern? Die Politiker aus ihrer sturen Rolle fallen lassen. Dass das funktioniert hat uns Gerhard Schröder in der historischen Elefantenrunde bewiesen.
Gleichzeitig würde es natürlich nicht auf Dauer funktionieren und so ist es vielleicht auch gut, dass „Wahrheit oder Pflicht“ zwar trotz seiner youtubeonly Veröffentlichung mediales Feedback erzeugt aber nie einen Sender gefunden hat. Denn mal ehrlich, wäre in der Lage und bereit gewesen Roger & Roches Gemeinschaftspinkeln noch zu toppen? Niemals wären vor einem großen Publikum noch solche Bekenntnisse möglich gewesen, wie Willemsens Bericht von seinem ersten Analverkehr. Welcher hochkarätige Gast hätte sich das, sagen wir auf einem 3sat Sendeplatz getraut? Wäre es dennoch passiert, hätte es nach kalkulierter Eskalation geschmeckt. So bleibt es ein Stück Fernsehgeschichte ohne Fernsehen. Ja, soweit ist das Internet bereits.

Bei dem Foto handelt es sich um Propaganda der U.S. Army unter CC 2.0-Lizenz.

Kategorien
Gesellschaft Netz &

Flattr geht offline

Im August, als Flattr, gerade die Beta-Phase verlassen hatte gab es ein sympathische Fotoaktion von @zeitweise. Flattr-Buttons für die reale Welt:

Flattr alles[von 137b zeitweise]

Die Idee war reizend: Den Flattr-Gedanken in die Offline-Welt  tragen. Den Park um die Ecke, der einem täglich gut tut, mit einer Aufmerksamkeit bedenken, oder als alternatives Zahlungsmittel für Telefonzellen. Ob Flattr diese Fotoaktion mitbekommen hat Auch Flattr-Kopf Peter Sunde hatte damals von der Aktion Wind bekommen ((Danke an Kristof für den Hinweis in den Kommentaren)), ob sich Flattr direkt davon hat inspirieren lassen, weiß ich nicht, was sie heute auf Facebook veröffentlicht haben sieht es aber ganz danach aus. „Teaser of Things“ to come heißt es dort zusammen mit diesem Foto:

Flattr für die Offline-Welt

Ein Flattr-Schild mit QR-Code. Der Code führt zu dieser Flattr-URL. Das stellt tatsächlich einen Weg dar auch offline flattrn zu können. QR-Codes können mit der Kamera eines Handys gescannt werden und senden einen zu dem Link, der sich hinter dem Code verbirgt. Ausgedruckt könnte man diese Codes überall anbringen und so den Kaffee auf dem nächsten Schulfest nicht mehr nur per Münzspende bezahlen, sondern auch über den Micropaymentdienst. The flattering of things. Auf die zahlreichen Pinnwand Nachfragen, ob das wirklich Real Life Flattering bedeutet, antwortet Flattr nur mit einem vielsagenden “ ‎…you might be right ;- )“ .

Bis man den Klingelbeutel am Ende des Gottesdiesnstes flattern kann, wird es aber noch ein wenig dauern. Denn erstens ist ja noch nichts offiziell angekündigt und das Ganze noch in der Testphase. Zweitens sind weder Flattr noch QR-Codes populäre Technologien. Flattr hat vor kurzem verkündet inzwischen rund 46.000 Nutzer und bislang 114,057 € umgesetzt zu haben. Keine schlechten Zahlen für 2 Monate nach dem offiziellen Start, allerdings sind sie noch weit davon entfernt die kritische Masse zu überschreiten. Ob ihnen QR-Codes dabei helfen werden bezweifle ich, denn auch hier wissen wenig Menschen, was sich dahinter verbirgt und viele der Otto Normalstreetviewverpixler gehen nach wie vor nicht mobil online, aus Angst vor versteckten Kosten oder weil ihnen die Technik dazu fehlt.
Deshalb wird wohl auch der Sprung ins RealLife Flattr nur begrenzt aus der Nerd-Ecke herausholen. Vielleicht sehen wir es bei der nächsten re:publica am Kaffeestand der taz und bei den Machern des Internetbrunnens bin ich mir auch sicher, dass sie sich darauf stürzen werden. Darüber hinaus wird es aber noch Zeit und Erklärungsarbeit brauchen.

mehr..

Glaubt ihr die Offline-Transferierung mit QR-Codes hilft Flattr bei der Verbreitung? Kommt der Flattr-Gedanke offline an und welche realen Dinge würdet ihr gerne flattern?

Update: Direkt nach Veröffentlichung fiel mir ein, dass es theoretisch bereits jetzt schon möglich ist Dinge Offline zu flattern, schließlich kann man zu jeder URL einen QR-Code erstellen. Und tatsächlich bietet auch schon eines der zahlreichen Third-Party-Tools rund um Flattr das an: flattirl.com. Danke an SkaveRat für den Hinweis in den Kommentaren.

Kategorien
Bücher

„Alpha… directions“ – Eine Schöpfungsgeschichte

14 Milliarden Jahre Evolutionsgeschichte auf 360 Buchseiten. Was nach einem  dicken und dennoch knapp gehaltenenWissenschaftswälzer klingt, ist ein Comic. Jens Harder hat sich daran gemacht, in „ALPHA…directions” die Entstehung von Welt und Leben in mehr als 2000 Bildern nachzuzeichnen. Für dieses Mammutprojekt fand sich zunächst in Deutschland kein Verlag. Erst nachdem er in Frankreich mit dem Prix de l’Audace 2010 ausgezeichnet wurde – dem Preis für die mutigste Neuveröffentlichung –, erschien das Buch auch in Deutschland, um hier dann gleich noch den Max-und-Moritz-Preis als bestes deutschsprachiges Comic einzuheimsen.

Alles beginnt mit einem einfachen Punkt, der über die nächsten Seiten anschwillt, um dann gewaltig zu explodieren. Der Urknall-Ursprung des Universums, der Welt, von allem. Erst die Planeten und dann das Leben beginnen sich zu entwickeln. Planeten bilden sich aus, die Erde kühlt ab, der erste Regen fällt. Chemische Reaktionen ergeben Organismen. Harder begleitet diese Entwicklung aber nicht nur rein wissenschaftlich, sondern reichert sie mit Verweisen auf Religion und Popkultur an oder greift Ereignissen voraus.

Zwischen die wissenschaftliche Theorie der Sonnenentstehung schneidet er zum Beispiel verschiedene Szenen mit dem indischen Sonnengott Vishnu und reflektiert so gleichzeitig religiöse Schöpfungsgeschichten als auch die kulturelle Bedeutung der Sonne in allen Kulturen.

Und als erstmals ein Haifisch auftaucht, finden sich daneben Bilder von Tim & Struppi auf einem Abenteuer unter See, und ein Kinopublikum bewundert den Blockbuster des gefährlichen weißen Hais. Wenn sich wiederum im Kohlezeitalter die verendenden Wälder begraben und über Milliardenjahre zu gigantischen Kohleflözen zusammengepresst werden, greift Harder voraus. In wenigen Bildern nimmt er schemenhaft die daraus Jahrmilliarden später entstehende Kohleindustrie vorweg. Durch diese assoziativen Elemente macht Harder die Geschichte lebendig, schon bevor überhaupt Leben auf der Erde existiert. Er zeigt so Zusammenhänge auf, lässt einen bei der Evolution mitfiebern und macht die Tragweite und Notwendigkeit der einzelnen Evolutionsstufen deutlich.

Den Bildern und Anekdoten, die Schöpfungs- und Erklärungsmythen aller Religionen aufgreifen, stehen kurze sachliche Wissenschaftsfakten gegenüber. Hat man sich angeregt durch die Verknüpfungen in eigenen Erklärungsversuchen vergaloppiert, wird am Ende jedes Kapitels noch einmal in einer Zeitleiste zusammengefasst, was in den Milliardenjahren, die man gerade überblättert hat, geschehen ist.

So treibt man durch die Bildwelt Harders, an der er fast fünf Jahre gesessen hat. Jedes neue Bakterium, das es schafft, durch neue Mutationen zu überleben, erwartet man mit Spannung. Schließlich ist es ein weiterer Schritt in Richtung dessen, was als Krone der Schöpfung begriffen wird: der Mensch. Gleichzeitig wird einem wieder einmal klar, welche geringe Rolle der Mensch in 14 Milliarden Jahren Geschichte spielt. Als dann endlich alles bereit wäre für den Auftritt des Menschen als nächste Evolutionsstufe endet das Buch und der Autor verweist auf den Nachfolger „BETA…civilisations”.

Jens Harder: „ALPHA… directions”, Carlsen Verlag, 360 Seiten, 49,90 Euro

Bilder (c): Carlsen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Rhein-Zeitung.


Kategorien
Bewegen & Beschäftigen Gesellschaft Wort

Was ich von Unternehmen & PR erwarte

Morgens, kurz vor dem Aufwachen, streckt sich eine Hand aus meinem Bett, fischt  blind nach dem Macbook, zieht es liebevoll auf die Matratze und klappt es auf. Blasser Bildschirmschein weckt mich auf und sofort bin ich mittendrin. Tweets prasseln auf mich ein, E-Mails werden gecheckt: Was hat sich getan in den letzten 6-8 Stunden?
Ich bin ein Medienjunkie, genauer ein „neue Medien“-Junkie, auch Digital Native gennant.
Der Gedanke ein physisches Lexikon aufzuschlagen erscheint mir absurd, das gedruckte Telefonbuch vergilbt auf der Toilette, denn online finde ich alles schneller und genauer. Und so bestimmt das Internet auch mein Leben: Was ich abends kochen kann sagt mir chefkoch.de, wo ich etwas trinken kann qype.de, welchen Film ich mir anschauen sollte moviepilot.de. Falsch wäre es allerdings zu sagen, ich überließe  diese Entscheidungen einem Algorithmus. Nein, all das was ich im Social Net finde, sind die Meinungen von Menschen, die ein Algorithmus lediglich für mich sortiert.

Das Netz hilft einordnen

Wie früher sind es auch heute noch die Meinungen anderer Menschen mit spezifischen Erfahrungen, die relevant sind. Zum Beispiel, kann mir ja nur der Freund sagen, ob ein Film gut ist, der er ihn gesehen hat. Das Netz hilft mir nun aber, den Wert dieser Meinung für mich persönlich einzuordnen: Zum Beispiel gleicht Moviepilot nun ab, was der Freund noch gesehen hat, wie es ihm gefallen und ob unser Filmgeschmack entsprechend zusammen passt. Je nachdem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass meine Meinung über den Film mit der meines Freundes übereinstimmt. Und wie man sich früher in der Tageszeitung möglichst einen Kritiker gesucht hat, der dem eigenen Geschmack entspricht, kann ich dadurch einsortieren, ob der Freund in Fragen Filme reliabel für das eigene Geschmacksempfinden bleibt. Daraus ergibt sich ein Netzwerk von Personen, die für mich zu persönlichen Experten auf einem bestimmten Gebiet werden.
Als Folge daraus habe ich ein auf mich zugeschnittenes Informationsnetzwerk, dass mir in der Flut der Masse die Informationen zugänglich macht, die mich interessieren. So lässt es sich auch erklären, dass, obwohl ich Medien- und News-Junkie bin,ich inzwischen eher selten die Startseite von Spiegel-Online aufrufe. Diese wird mir zu sehr von dem sich gefühlt täglich weiter emporstrebenden Boulevard-Ressort eingenommen. Dennoch kann ich sicher sein, dass relevante Artikel oder Meldungen mich erreichen. Via Twitter, Facebook oder Rivva, bekomme ich die wichtigsten Meldungen in Echtzeit und kann sicher sein, dass ich dieselbe Wissensgrundlage habe, wie alle in meinem Netzwerk. Ich stelle mir meine Informationen selbst zusammen, auf mich zugeschnitten und nicht mehr ich muss zu den jeweiligen Nachrichten gehen, sondern die Nachrichten kommen zu mir.

Das beste Produkt setzt sich durch

Was müssen jetzt Unternehmen in dieser, meiner Welt leisten? Zunächst einmal müssen sie gute, am besten hervorragende Produkte machen. Der potentielle Kunde mit seinen Bedürfnissen muss absolut im Fokus stehen. Im Internetzeitalter wird quasi jede Produktentscheidung, gemessen an früheren Maßstäben, mit high envolvement getroffen. Eine Eingabe in Google und ich finde Produkttest, Vergleiche und Meinungen zu allem. Es kann sich also nur das beste Produkt durchsetzen und PR-Nebel hilft in diesem Konkurrenzkampf relativ wenig. Dazu fällt auch mir nur wieder das leidige Beispiel Vodafone ein, die mit einer Riesenkampagne versuchten die „Generation Upload“ zu gewinnen, dabei jedoch vergaßen konkrete Angebote an die Zielgruppe zu machen. Dabei verfolgte eben diese die Entwicklung mit durchaus großem Interesse und waren gespannt was ihnen der Kommunikationsriese zu bieten hätte. Es gab aber nur einen bunten Werbespot. In der Konsequenz wurde auch das tarifliche Angebot genau inspiziert und dann auseinandergenommen, weil es die angesprochene Zielgruppe nicht traf. Während derselben Zeit senkte O2 einige seiner Preise und schnitt seine Tarife besser auf mobile Onliner zu und schaffte es so, ganz ohne Kampagne an vielen Stellen positiv erwähnt zu werden. Das Netz verpflichtet also zu guten Produkten.
Was ein Unternehmen darüber hinaus tun muss, dass ich mich als „Fan“ auf Facebook oute, oder ihm zum Beispiel auf Twitter folge? Nun das Unternehmen, oder die Marke will sich in eine Reihe mit meinen Freunden stellen, also verlange ich von ihm auch das, was ich von einem Freund erwarte. Wie oben erwähnt sind meine Anforderungen, an mein Informationsnetzwerk sehr hoch, die muss zwangsläufig auch das Unternehmen erfüllen; mit Pressemitteilungen wird das kaum getan sein. Entweder also das Unternehmen ist wichtig für mein tägliches Leben und bietet dafür die besten Informationen, oder ich werde mich wohl kaum mit ihm „anfrienden“.

Wer mein Freund sein will, muss ein Freund sein

Was muss es noch bieten? Als „Friend“ muss ich ihm Vertrauen können. Das wir heutzutage Unternehmen Vertrauen schenken, ist dabei keineswegs mehr absurd, denken wir nur an Google. Menschen vertrauen Google privateste Daten an, die, fordert der Staat sie zum Beispiel in Form einer Vorratsdatenspeicherung, dieselben Menschen auf die Barrikaden treibt. Google hat es geschafft für viele Menschen vertrauenswürdiger zu sein als Vater Staat.
Wie erreich ein Unternehmen solches Vertrauen? Es kann natürlich nicht jedes Unternehmen Google sein, aber einerster Schritt in Richtung Vertrauen ist Transparenz, Transparenz und Offenheit. Unternehmen den ich etwas (an)vertraue, stehen unter akuter und erhöhter Beobachtung. Ein Fehler und noch schlimmer ein nachfolgender Fehler in der Kommunikation und die Kunden sind weg und bei der Konkurrenz. Deshalb Transparenz. Geschieht ein Fehler, sollte ein Unternehmen so weit wie möglich uneingeschränkte Verantwortung übernehmen, offen und ehrlich erklären, wie es dazu kommen konnte und sich angemessen entschuldigen (Alte PR-Regel, oder?). Egal, ob es sich um einen Einzelfall oder eine größere Panne handelt. Schließlich kann im Netz sofort aus jedem unglücklichen Einzelfall eine größere Krise entstehen, denken wir nur an den Sportartikel Hersteller Jako oder Jack Wolfskin. Hier hilft nur schnelles und ehrliches Vorgehen. Den das Netz ist gleichzeitig so schnelllebig, dass es in seinem neuesten Trend eigentlich von Unternehmen verlangt jederzeit eine Echtzeitstellungnahme abgeben zu können. Bleibt diese aus oder wird erste Tage später, nach aufwändiger interner Abstimmung, veröffentlicht ist die Aufmerksamkeit längst 150 Millionen Tweets weiter, nur  der Imageschaden bleibt (be)stehen. Schnelle offene Kommunikation also, aber Kommunikation reicht nicht. Der Begriff Kommunikation, kann und meint in der PR auch oft eine einseitige Beziehung von Sender und Empfänger. In meinem Freundesnetzwerk verlange ich aber einem Dialog. Niemand hat schließlich Freunde gerne, die stets nur von sich erzählen und einen nicht zu Wort kommen lassen. Der wichtigste Schritt dazu ist erst einmal die Erreichbarkeit. Was nützt mir ein Freund, dem ich von einem Problem erzählen möchte, wenn ich nicht erreichen kann? Ein Unternehmen sollte also, will es eine Beziehung oder Bindung zu mir aufbauen, erreichbar sein, am besten auf allen Kanälen die ich nutze, um stets den kürzesten Weg zu sichern. Zum Beispiel über Twitter, hier ist die Kommunikation einfach und 140 Zeichen sind schnell geschrieben.

Ein Freund hört zu

Ein guter Freund sollte auch zuhören. Wie hört man als Unternehmen zu? Genau, wie als andere Mensch auch, dem folgen, was der andere sagt. Ich freue mich zum Beispiel wenn ich einen belanglosen Tweet absetze mit: „Wow, das Produkt XY ist aber echt toll, macht Spaß damit“ und ich bekomme eine Anwort von dem Unternehmen das schreibt „Danke, @netzfeuilleton. Freut uns, dass dir unser Produkt gefällt.“ Mag sein, dass andere Zeitgenossen das schon wieder als SPAM betrachten; ich persönlich finde es nett, denn es zeigt mir, dass man mir zuhört. Noch netter ist es natürlich wenn eine Antwort auch kommt, wenn ich mich nicht über Produkt XY freue, sondern mich ärgere und man mir dann schnelle und unkomplizierte Hilfe anbietet. Es ist ganz einfach, es ist menschlich. Unternehmen müssen auf ihre soziale Komponente setzen oder diese ausbauen, schließlich heißt es Social Network.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Als Blogger und aktiver Twitterer erreichen mich immer wieder Unternehmen, die nicht nur möchten, dass ich sie gut finde, sondern das auch öffentlich weitergebe. Mehrere PR-Mails am Tag trudeln ein mit der Bitte, die folgende Information in meinem Blog netzfeuilleton.de zu veröffentlichen. Antwort: Nein. Ein Blog ist immer, auch wenn es mit teilsprofessionellen Anspruch gestaltet wird, eine sehr persönliche Sache. Hier bestimme ich, zusammen mit meinen anderen Autoren, was veröffentlicht wird und das ist vor allem das, was uns persönlich interessiert. Das schöne ist, dass wir nicht unter dem Druck stehen, wie beispielsweise eine Zeitung, jeden Tag eine gewisse Anzahl Seiten zu füllen, sondern wir müssen nur so viel veröffentlichen, wie wir für richtig halten ist. Eine PR-Meldung gehört selten zu dem, was wir für wichtig halten. Schon gar nicht, wenn sie mit den Worten beginnt: „Liebe Medienpartner…“. Solche eMails werden nicht einmal geöffnet. Startet eine ungefragte Mail dagegen mit „Lieber Herr Kucharz, wie ich in Ihrem Weblog netzfeuilleton.de gesehen habe, beschäftigen Sie sich mit Medien & Kultur.“ So eine Anrede führt wenigstens dazu, dass ich die Mail bis zu Ende lese. Wird dann noch ein konkreter Artikel von mir erwähnt, fühle ich mich geschmeichelt. Ihr Pressemitteilung veröffentliche ich trotzdem nicht. Schließlich gibt es unter Bloggern auch so etwas wie einen Ehrencodex, ich schreibe dort unter meinem eigenen Namen und muss jederzeit persönlich dahinter stehen können, denn das Internet vergisst auch nicht. Wenn Sie also möchten, dass ich über Ihr Produkt schreibe, dann senden Sie es mir zu. Wenn es den Themenbereich trifft und ich gerade Zeit habe, erhalten Sie im Austausch eine ehrliche Meinung. Ja, eine ehrliche, unabhängige Meinung, schließlich lautet unser Slogan Medien, Meinung, Kultur. Sind Sie an meiner echten Meinung nicht interessiert und möchten lieber in rein positivem Glanz auf meinem Blog erscheinen, bleibt ihnen immer noch gerne die Möglichkeit Werbung zu buchen. Soll ich möglichst schön über ihr Produkt schreiben, bleibt immer noch mein Hinweis vom Anfang: Machen Sie gute Produkte.

Kommunikation im Web 2.0Dieser Artikel erschien als Beitrag in der 2. Auflage von „Kommunikation im Web 2.0“  von Melanie Huber unter dem Titel „Das wünscht sich Ihre Zielgruppe“. Das Buch bei Amazon bestellen geht hier.

Kategorien
Flimmern & Sehen Großes Kino

Ein Penner mit ’ner Shotgun (Trailer)

Das Wort „Hobo“ steht im Englischen für Vagabund, Landstreicher oder Penner und „Hobo with a shotgun“ war einer der „Faketrailer“ die es ((in den USA und Kanada)) zwischen dem Grindhouse Feature aus Quentin Tarantinos „Death Proof“ und Robert Rodriguez‘ „Planet Terror“ zu sehen gab.

Wobei, Fraktrailer ist nicht mehr richtig. Dachte ich bislang, nur „Machete“ würde den Sprung vom zwei Munten Trailer auf die Kinoleinwand machen, hat sich inzwischen auch „Hobo with a Shotgun“ auf abendfüllende Länge gedehnt. Die Filmemacher um Jason Eisener hatten damals den von Rodriguez auf dem SXSW ausgerufenen Grindhouse Trailerwettbewerb gewonnen und das positive Feedback zu ihrem vigilanten Penner hat es ihnen wohl erlaubt das Projekt weiter zu verfolgen.

Die Rolle des Hobo ist  Rutger Hower zu gefallen. Hobo obliegt es in dem Film allerhand kriminelles Pack blutrünstig niederzumähen. Mörder, korrupte Polizisten, pädophile Weihnachtsmänner. Dabei hilft ihm seine Shotgun. So viel zur Story, nun zum Trailer ((Er ist „unrated“. Ich würde mal spontan sagen ab 18. Frühestens.)):

Zum Vergleich noch einmal der ursprüngliche Trailer aus dem Grindhouse-Feature. David Brunt, der hier noch den blutdürstigen Hobo verkörpern durfte, wird im fertigen Film die Rolle eines Cops übernehmen.

Einen tiefen Einblick in den Enstehungsprozess und hinter die Kulissen mit zum Beipsiel Videos zum Dreah erlauben die Macher auf ihrem Blog.

Die anderen Faketrailer, den Machetetrailer und mehr zum Grindhouse Feature gibt es hier.

[via Blogbuzzter]

-Werbung-

Was meint ihr zu dem Trailer? Sieht es so aus, als hätte Rodriguez hier ein neues Talent entdeckt oder wirkt es nur wie B-Ballerorgie mit viel roter Farbe?

mehr…

Kategorien
Großes Kino

Nolans „Inception“: Ein perfekter Moment

Erstaunlich ist das schon: Da kommt ein Film in die Kinos, ein großer, ein teurer Film, ein Sommerblockbuster mit Stars und Effekten und Explosionen – aber was ist da los: er ist kein Remake, kein Prequel und kein Sequel, er adaptiert kein Comic-Heftchen und keinen Fantasy-Bestseller, er verbrät kein Videospiel und kein Plastikspielzeug.»Inception« von Christopher Nolan ist ein echtes Original.

Früher gab es das öfter. Früher haben die Studios auch mal was riskiert, haben dem Publikum auch mal was zugemutet – einfach auch, weil sie gar nicht so recht wussten, was das Publikum eigentlich wollte. Heute verrät ihnen die Marktforschung, dass nicht mehr die Erwachsenen ins Kino gehen, sondern dass die Erwachsenen das Geld ihren Kids geben, und die gehen dann ins Kino.

Die größeren Produktionen der letzten Jahre kalkulierten deshalb risikolos mit der pubertierenden Masse, hievten einen Jugendhelden nach dem anderen auf die Leinwand; vor den Spidermännern, Zauberlehrlingen und Hellboys gab es praktisch kein Entkommen. Die Filme haben mitunter auch viel Spaß gemacht, denn sie waren Eskapismus pur; sie strapazierten den Hirnmuskel nur mit Umweg über das Feuilleton, das durchaus allerlei Subtexte und Bezüge aufspürte.

Unterdessen aber hatte ein Brite namens Christopher Nolan seine Karriere gestartet; seine Mission sollte es sein, dem Mainstreamkino wieder bereits an der Quelle Intelligenz einzuflößen, den Kommerz wieder mit der Kunst zu versöhnen. Auf seinem gar nicht so langen Weg zu den ganz großen Budgets fielen feine Filme ab:

»Following« (1998). Nach ein paar Kurzfilmen der erste Abendfüller: Ein Neo Noir in Schwarzweiß, ruhig und rätselhaft, über einen Schriftsteller, der sich, auf der Suche nach Material, an die Fersen fremder Menschen heftet und an den Dieb Cobb (!) gerät. Für wenig Geld an Wochenenden gedreht, doch Kamera, Schnitt, Buch, Schauspiel und Regie machen Eindruck.

»Memento« (2000). Nolans Durchbruch, und sofort ein Film, der seinesgleichen sucht. Ein psychologischer Noir-Thriller um einen Mann mit kaputtem Erinnerungsvermögen, rückwärts erzählt und verflucht verzwickt. Aber keine Mogelpackung wie andere Verwirr-Filme: das Puzzle funktioniert, ist eine mutige, aber rundum glückliche Heirat von Inhalt und Form. Unvergesslich. (sorry)

»Insomnia« (2002). Manchmal als schwächster Film Nolans angesehen, weil er sich wie der an Schlaflosigkeit leidende Al Pacino etwas dahinschleppt. Aber das Katz- und Mausspiel brodelt unter der verschneiten Oberfläche: der Good Cop ist nicht ganz so good, und der Mörder weiß es. »Insomnia« ist das Remake eines norwegischen Films von 1997 und wurde von Clooney und Soderbergh produziert.

»Batman Begins« (2005). Nolans Wiederbelebung des Flattermanns ist ein Paukenschlag. Wie, Batman und ein guter Film? Ohne buntes Bohei? Realistisch, düster und smart geht Nolan die Sache an, unterfüttert die Origin-Story mit glaubhaftem psychologischem Drama, bis dato unbekannt in Superheldgefilden. Das gefällt den Fans, und den Produzenten auch. Nolan stehen ab sofort alle Türen offen.

»The Prestige« (2006). Zur Hälfte Historiendrama, zur Hälfte Thriller, zur Hälfte SciFi – »The Prestige« ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Geschichte zweier rivalisierender Illusionisten wächst in Nolans Händen zu kraftvollem, großem Kino, mit einem dicht gestrickten Drehbuch, das Haken schlägt wie ein Zauberkaninchen. Auf den zweiten Blick ist der Film eine Hommage an das Kino; seine Struktur spiegelt die Philosophie der Protagonisten und zeigt, was Kino sein kann: pure Magie.

»The Dark Knight« (2008). Der große Wurf, ein Meisterwerk im Comic-Gewand und nach Ansicht praktisch aller Kritiker Kino in Reinkultur. Selten gingen in einem Film Klasse und Kasse derart Hand in Hand: der Überflieger spielte weltweit über eine Milliarde Dollar ein. Offenbar schreckte das Sujet selbst abgeklärte Geister nicht ab; de facto versteckt sich in dieser brodelnden Tour de Force auch ein noir-mäßiges Kriminalepos voller moralischer Konflikte. Als Dreingabe: gewaltige Schauwerte, ruppige Action, schweißtreibender Suspense und vor allem Heath Ledgers genial-gemeiner Bösewicht.

Hamburg, Streit’s Filmtheater, 28. Juli 2010. Vorpremiere von »Inception«. Die Originalversion. Ausverkauft, natürlich. Zu jedem Ticket gibt’s ein Glas Sekt, sehr nobel. Vorfreude in der Luft, angeregte Gespräche an Stehtischen. Wovon handelt der Film noch mal genau? Irgendwas mit Träumen und dem Stehlen oder Implantieren von Ideen …

 

Ich habe beim Ticketkauf nicht aufgepasst; ich lande auf einer Kuschelbank mit einem Inder, der auch nicht aufgepasst hat. Leicht beschwipst erleben wir den Beginn des Films, der ohne Vorwarnung einsteigt in irgendwelcher Leute Träume. Schauplätze wechseln unvermittelt, Dialoge hinterlassen nichts als Fragezeichen, alles geht plötzlich zu Bruch, dann wachen die Leute auf … und wachen kurz darauf noch einmal auf. Hm? Moment mal. Während die Promille langsam abebben, dämmert es mir: »Verdammt, dieser Film ist cleverer als ich!«

Welch ein schönes Gefühl. Zu sehr zur Gewöhnung geworden war das formlose Mainstream-Angebot, das man auch noch während einer warmen Mahlzeit und leicht sediert genießen konnte (oder sollte). Bei Nolan sei man besser ausgeschlafen; jedes Essen würde kalt werden, das Trinken verkneife man sich, denn ein schlecht getimter Toilettenbesuch kann verheerende Folgen haben. Raum für Ruhepausen findet sich nicht in Nolans Dramaturgie; den Platz zwischen Schlüsselszenen füllen noch mehr Schlüsselszenen: Jede Einstellung zählt, jedes Wort hat Gewicht.

Wäre Nolan ein Komponist, seine Partitur wäre schwarz vor Noten.»Inception« ist King Crimson fürs Kino, ist ausladend, könnerhaft, schön, aber anstrengend, unverhohlen zerebral. Und wäre Nolan ein Schriftsteller, er hieße William Gibson. So wie der in »Neuromancer« dem abstrakten Konzept des Cyberspace Plastizität verleiht, erweckt Nolan ein kolossales Gedankengebäude zum Leben.

Und das ist keine Spielerei. Ohne auf ein Vorwissen des Zuschauers oder Genre-Konventionen zurückgreifen zu können, muss Nolan eine ganze Welt in den Köpfen des Publikums etablieren. Zwar gibt es Anklänge an Heist Movies, an Bondfilme und Wirtschaftskrimis, aber die völlig neuartigen Wege, die Nolans Erzählweise beschreitet, machen»Inception« zu seinem eigenen Genre.

Darin gibt es scharfe Prämissen, klare Spielregeln. Obgleich der dritte Akt des Films mit seiner durch vier Traumebenen karriolenden Handlung wohl eine der kompliziertesten Sequenzen der Geschichte ist, bricht Nolan zu keinem Zeitpunkt die interne Logik seines Universums. Natürlich verliert man bisweilen den Überblick: Warum landet Fischer in Cobbs Limbus? Was macht das Windrad in dem Safe? Wie haben es Cobb und Saito zurück in die Realität geschafft? Aber man erfasst stets den Impetus der aktuellen Szene und hat das Gefühl: es ist alles da, um alles zu verstehen, man muss nur genau aufpassen. Dieser Nolan weiß, was er macht.

Und dieser Eindruck ist wichtig. Die Überlegenheit des Künstlers. Die Integrität des Werkes. Wie viele dieser Mindbender-Filme sind nur einer geheimnisvollen Aura wegen fragmentiert erzählt, stellen Rätsel, die keine Lösung haben und zerfasern in ein Dickicht kryptischer Andeutungen und vager Doppelböden. Seien wir ehrlich: Kryptisch kann jeder.

Der Reiz von »Inception« beruht auch nicht auf einem Shyamalan-Twist, der die falsche Fährte effektvoll entlarvt, auf die das Publikum gelockt wurde. Twist-Filme haben den Nachteil, dass sie nur beim ersten Mal ihre Wirkung voll zu entfalten imstande sind, danach geht die Überraschung flöten. »Inception« aber ist gar nicht im Hinblick auf den Zuschauer inszeniert, seine Dramaturgie sucht das Publikum nicht zu manipulieren.

Wie außergewöhnlich das ist, muss man erst einmal realisieren: Mit keiner Szene, die man erzählt, könnte man jemandem den Film verderben. Seine komplette Handlung wiederzugeben, ist vielleicht möglich, aber sinnlos – als würde man versuchen, eine Achterbahnfahrt nachzuerzählen. »Inception« ist eine nachgerade körperliche, eine sinnliche Erfahrung; der Film aktiviert im Moment des Schauens enorme affektive Potentiale, seine Essenz existiert nicht außerhalb der Rezeption. Ein echter Film-Film.

Das Vergnügen kommt indes nicht gratis; dieser kühne Kino-Koloss möchte erarbeitet werden. Erfrischend unverfroren verlangt Nolan Einsatz von seinem Publikum; die goldene Drehbuch-Regel – »Keep it simple.« – lässt er links liegen. Sein unfasslich dicht gepacktes Konvolut lässt selbst »Memento« aussehen wie »Die Sendung mit der Maus«; es in seiner Gänze gleich zu erfassen ist derweil gar nicht das Ziel – Beethoven hört man auch mehr als einmal. Diese Flutwelle aus Informationen gewinnt mit jedem Mal an Struktur, verliert aber nicht ihre Wucht. Sie massiert die Gehirnlappen, nimmt einen ordentlich in die Mangel: Ist »Inception« zu stark, bist Du zu schwach.

Mein Kuschelnachbar ist am Kämpfen. Eine Stunde vor Schluss fängt er an, unruhig zu werden, an seinen Ärmeln herumzunesteln. Bald stößt er verzweifelte Seufzer aus und nutzt helle Szenen, um auf die Uhr zu schauen. Der arme Mensch. Ich will ihm gerade gut zureden, da hat der Bannstrahl des Films ihn sich wieder geschnappt; bewegungslos starrt er Leonardo DiCaprio an, der seinerseits gerade mächtig mit sich zu kämpfen hat.

Wann immer man ins Schwimmen gerät, man halte sich an DiCaprio. Er trägt das Gebäude des Films, an ihm ankert das emotionale Fundament, sein müheloses, ausdrucksreiches Spiel gibt der Geschichte den menschlichen Rückhalt, den sie bei all dem turbulenten Traumtaumel benötigt. Cobbs Reise eröffnet darüber hinaus philosophische Untiefen: der Widerstreit zwischen körperlicher und geistiger Existenz, das ewige Ringen mit der Zäsur des Todes, das Regiment der Technologie über unser Bewusstsein, die Unwägbarkeit der Wahrnehmung dessen, was wir Realität nennen …

Profunde Fragen. Aber Kopfkino à la Nolan sieht nicht aus wie Tarkowski. Nolan kontempliert nicht, Nolan kurbelt, feuert, peitscht. Er durchmisst das Labyrinth seiner Story mit solcher Energie und Effizienz, dass nichts mehr überrascht als ihr Tiefgang. Was in Actionfilmen als set piece bezeichnet wird – eine gleichsam in sich abgeschlossene, von den Helden zu meisternde Situation – gerät bei Nolan zu einer vollständig im Dienst der Geschichte stehenden Einheit von Suspense und Substanz, Action und Emotion.

Mit welcher Panache er diese Sequenzen umeinanderwickelt und parallel ablaufen lässt, wie behände er in dem Traumraum-Knäuel hin- und herspringt und währenddessen auch noch die Zeit manipuliert, die freilich in den einzelnen Ebenen unterschiedlich schnell abläuft – das ringt einem Respekt ab. So etwas gab es im Kino noch nicht. Und wenn man sich überlegt, dass eine solch irrsinnige narrative Struktur tatsächlich auch nur im Kino funktionieren kann, wird klar, dass wir mit »Inception« Zeugen einer neuen Facette von Filmkunst geworden sind. Die Vergleiche mit Werken wie »2001« oder »Matrix«, die zu ihrer Zeit ebenso couragiert Neuland betraten, sind deswegen nicht weit hergeholt.

Am Ende des Films geschieht etwas Erstaunliches. Die Kamera löst sich zum ersten Mal von den Protagonisten und zeigt dem Zuschauer exklusiv ein Detail der Mise-en-scène. Augenblicklich ändert sich seine Perspektive; diese eine Einstellung katapultiert ihn aus der Position des Rezipienten in die eines Interpreten. Plötzlich weiß er mehr als der Held – diese Rolle ist vollkommen ungewohnt – und die sich gerade abzeichnende, furchtbare Alternative versetzt ihn in höchste Aufregung. Tausende aufgerissene Augen starren auf die Leinwand. Auf einmal wird sie schwarz, zack. Aus der Film.

Verblüffung allerorten. In den Köpfen rattert es. Zwei Lesarten, gleich­berechtigt. Darüber wird zu reden sein. Aber erst einmal: Entspannung. Verkrampfte Finger entlassen Armlehnen aus ihrer Umklammerung, befreites Lachen erschallt, Applaus brandet auf. Es ist ein perfekter Moment. Und es ist präzise dieser Moment, in dem viele Zuschauer – sogar mein Nachbar, der sich glücklich den Schweiß von der Stirn wischt – den dringenden Wunsch verspüren, diesen Film noch einmal zu sehen. Die Idee strahlt mit solcher Kraft … und eben war sie noch nicht da. Ein Fall von ›Inception‹? Wahrscheinlich. Mr. Nolan beherrscht die Kunst, Hut ab. Davon träumen andere nur.

Dieser Artikel reflektiert Andreas Vogels (San Andreas) Rezeption von Christopher Nolans jüngstem Werk „Incpetion“. Erschienen ist er ursprünglich im Umblätterer. Der Umblätterer bewegt sich in der Halbwelt des Feuilletons und gräbt dort regelmäßig die schönsten Perlen aus. Einmal im Jahr werden dort außerdem die besten Texte mit dem Goldenen Maulwurf ausgezeichnet. Wie man oben liest, kann das Consortium aber durchaus auch selbst vortrefflich feuilletonistisch publizieren.

Bild (c): Warner Brothers

 

Kategorien
Gesellschaft Video

Zwischen Bratwurst und Sprache: Auf der Suche nach deutscher Identität

Was ist deutsch? Eine Sprache? Ein Fußballteam? Eine Bratwurst? Egal, wie wir es drehen
und wenden unweigerlich geht die Identität immer von der Konstruktion des Einzelnen aus.
Viele Deutsche stehen auf Kriegsfuß mit ihrer nationalen Identifikation, ob nun die dritte und vierte
Generation von Einwandern oder die im linken Spektrum beliebte Einstellungen nationale
Sphären lieber komplett zu negligieren.

Fakt ist: Keine andere Generation, als die der heutigen Jugend in diesem Land, hat sich so schwer getan ihren Platz im Konzept des „Deutschen“ zu finden. Unsere Großeltern, aufgezogen in einer Zeit der Rassenideologie und
des bedingungslosen Glaubens an Stahl, Ehre und Blut, lieferten eine Lösung des Problems die in
Krieg und Zerstörung endete. Die 68er trugen ihren Unmut revolutionär aus, um im Anschluss ihren
langen Weg durch die Institutionen anzutreten.
Zwar sind wir uns einig was wir nicht mehr sein wollen, doch ein Konsens eines neuen
deutschen „Wir-Gefühls“ scheint, trotz der Wiedervereinigung, bis heute außerhalb von Fußball-
und Bierkultur unerreicht.

Das videojouralistische Projekt „Deutsche Identität“ macht sich auf die Suche nach Antworten und stellt dabei nur zwei Fragen: Was ist für dich deutsch? Was würdest du an Deutschland verändern?

Drei Folgen sind bereits online, bislang wurde im Kulturpark in Wiesbaden und an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz aufgenommen und es soll noch weiter gedreht werden.

Weitere Informationen zu dem Projekt und die kommenden Folgen gibt es auf der Facebook-Seite:
VJ Projekt Deutsche Identität | Promote Your Page Too

Bild unter Zuhilfenahme von Seph Swain, der unter CC 2.0 veröffentlichte.

mehr…

Aber die zwei Fragen richte ich gerne auch an euch: Was ist für euch deutsch? Und was würdet ihr am liebsten verändern? Ihr könnt in den Kommentaren antworten oder auch selbst ein Video mit eurem Statement aufnehmen und dann hier verlinken.